Rezension

Idyllisches Landleben? Mitnichten! Hier wird höchst kreativ gemordet…!

Das Sterben in Wychwood -

Das Sterben in Wychwood
von Agatha Christie

25 „Welch eine schöne Zahl! Es fühlt sich an, wie ein Jubiläum!“ Ähnliches dachte vielleicht auch Agatha Christie, als sie sich ans Schreiben dieses Kriminalromans machte. Im Entstehungsjahr (1939) dieses Krimis waren ihre beiden bekanntesten Schnüffelnasen Hercule Poirot und Miss Marple schon seit Jahren bei den Fans etabliert. Dabei ging ihr besonders der bei den Leser*innen so beliebte Poirot manches Mal so sehr auf die Nerven, dass sie sich mit dem Verfassen von Romanen, in denen frische, unverbrauchte Ermittler*innen auftauchten, anscheinend ein wenig Abwechslung gönnte. Diese Charaktere gaben im literarischen Œuvre Christies dann aber bedauerlicherweise immer nur ein einmaliges Gastspiel.

Luke Fitzwilliam kehrt nach einem langen Auslandsaufenthalt nach England zurück. Auf der Zugfahrt nach London zu seinem Freund Jimmy Lorrimer lernt er Miss Pinkerton kennen, eine scheinbar verwirrte, aber liebenswürdige ältere Dame. „Es ist sehr leicht zu morden“, versichert diese ihm und berichtet von einer Reihe seltsamer Todesfällen in ihrer Heimatort Wychwood. Sie ist auf dem Weg zu Scotland Yard, weil sie sicher ist, zu wissen, wer der Mörder sei. Luke hört sich etwas ungläubig ihre Geschichte an. Am nächsten Tag erfährt er aus der Zeitung, dass Miss Pinkerton von einem Auto überfahren wurde. Nun ist er gar nicht mehr so skeptisch und beschließt, den seltsamen Geschehnissen auf den Grund zu gehen. Da sein Freund Jimmy in Wychwood eine Cousine hat, macht Luke sich auf den Weg dorthin, um Miss Pinkertons Mörder zu finden. Als Gast von Lord Whitfield gibt er vor, eine wissenschaftliche Arbeit über Heimatbräuche zu schreiben. Doch Jimmys scharfsichtige Cousine Bridget Convay, die ehemals die Sekretärin des Lords war und nun mit ihm verlobt ist, blickt schnell hinter Lukes dürftige Fassade und unterstützt ihn bei seinen Nachforschungen. Erschrocken müssen sie feststellen, dass es sich hierbei anscheinend um eine wahre Mordserie handelt, bei der es leider nur allzu viele Verdächtige gibt…!

Ich liebe Christies Krimi-Reihen mit Marple und Poirot so sehr, da ich bei jedem „Wiedersehen“ das Gefühl habe, eine alte Bekanntschaft wieder aufleben zu lassen. Vieles ist vertraut, manches wirkt vorhersehbar. Und doch genieße ich ebenso die Abstecher zu Werken der „Queen of Crime“ wie "Tödlicher Irrtum" oder "Das Geheimnis von Sittaford", die mich mental neu herausfordern, wo eben nicht alles vorhersehbar erscheint, und ich mich mit den unbekannten Charakteren erst anfreunden muss.

Bei „Das Sterben von Wychwood“ bedient sich die Autorin eines vielfach genutzten und somit allzeit bekannten Rahmens: Handlungspersonal aus der mittleren bis gehobenen Klasse; ländliches, scheinbar idyllisches Umfeld; ausreichende und doch überschaubare Anzahl an potentiellen Täter*innen; ergo: überschaubare und doch ausreichende Anzahl an potentiellen Opfer*innen; Geschehnisse, die vom Normalen abweichen, würden zwangsläufig die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft erregen; fremde Person als Impuls zur Kommunikation (Luke fragt/ Dorfbevölkerung antworten); ortskundige Person (Bridget) mit Vertrauensbonus als Türöffner;…

…und dieser Aufzählung könnte ich noch einige weitere Punkte hinzufügen. Anscheinend ist doch alles bekannt, oder? Und trotzdem machte es mir einfach einen immensen Spaß, diesen unterhaltsamen Krimi zu lesen. Dies verdankte ich dem Umstand, dass Agatha Christie wunderbar vielfältige Charaktere schuf und in ihrer Geschichte diese geballte Masse an Persönlichkeiten gekonnt kurzweilig aufeinander prallen ließ. Da gibt es den jugendlichen Helden, der so manches Mal sehr unvorteilhaft und somit recht wenig heldenhaft wirkt. Die jugendliche Naive ist ein höchst intelligentes Persönchen mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein. Der kauzige Alte verbirgt hinter seinem skurrilen Humor eine beinah pathologische Selbstüberschätzung. Und auch hier könnte ich die Liste weiter üppig ausschmücken.

Ich verzeihe ihr sogar so manches stereotype Klischee, da mir bewusst ist, dass dies damals gang und gäbe war, und auch Christie den Zwängen und Konventionen ihrer Zeit unterlag. So wird ein dem Okkulten zusprechender Antiquitätenhändler als unsympathische Tucke dargestellt. Na und?! Nicht jede LGBTQ-Person wird durch den Umstand, dass sie sich einem der Kürzel zugehörig fühlt, automatisch zu einem besseren Menschen. Auch wenn ich manches Mal den Eindruck habe, dass dies von der Community gerne so propagiert wird (und diese damit wieder ein Klischee bedient).

Nach meiner Erfahrung gibt es zumindest unter den Homosexuellen genauso viele schräge Typen wie bei den Heteros. Darum sehe ich es sehr entspannt, wenn in der Literatur auch äußerst ambivalente LGBTQ-Charaktere auftauchen. Natürlich ist meine entspannte Haltung abhängig vom jeweiligen Autor/ von der jeweiligen Autorin, und ich mache da durchaus sehr differenzierte Unterschiede bzgl. des Ausmaßes meiner Toleranz: So habe ich die Werke eines anderen Autors, der in der Vergangenheit durchaus sehr erfolgreich Katzenkrimis verfasst hatte, aus meinem Haus konsequent beseitigt. Nur soviel sei gesagt: Ich hatte meine Gründe!

Die Werke von Mrs. Christie sind dagegen meilenweit davon entfernt, dass ihnen ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte.