Island: Das Schweigen und das Schreiben
Bewertet mit 4 Sternen
Das Buch bildet sowohl die Fortsetzung als auch die Ergänzung zu „Fische haben keine Beine“. Ari kommt aus Dänemark, wo er jahrelang lebte, nach Island zurück, weil er mit seinem todkranken Vater Jakob noch Persönliches zu regeln hat.
Wie beim ersten Band verquickt der Autor Versatzsstücke aus der Kindheit und Jugend seiner Protagonisten mit dem aktuellen Geschehen, greift Begebenheiten und Beziehungen aus dem ersten Band auf und führt sie weiter aus, bzw. beleuchtet sie aus anderen Perspektiven.
Das Buch verlangt dem Leser einiges ab, Konzentration, Geduld und Hirnarbeit, denn erst in seinem Kopf entsteht nach und nach die gesamte Geschichte, die sich aus Reminiszenzen und gegenwärtigem Geschehen verbindet.
Immer noch ist die Rolle des Ich-Erzählers diffus: Als Person tritt er nicht auf, er hat keinen Namen, und dennoch scheint er überall zu sein. Nahe bei Ari, aber auch bei den anderen Personen. Er zählt sich mit (z.B. wenn drei Leute im Auto sitzen, rechnet er vier), er spricht mit Ari und antwortet ihm, als Personalpronomen gebraucht „unser“ (und niemals „mein“).
Stefánsson stellt Island als melancholisches Land dar, beherrscht von Wind, Meer und Schnee; die kurzen Sommer sind wie ein Aufleuchten im Dunkel, wie ein Atemholen mit frischer Luft, ehe das Leben wieder kalt, dunkel und unwirtlich wird.
Kritik an wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen äußert der Autor durch die Stimmen seiner Figuren, die das Gestern mit dem Heute vergleichen, und vermeidet so eine moralische Keule.
Die Isländer, wie der Autor sie zeichnet, scheinen ein Volk des geschriebenen Wortes zu sein. Einerseits fällt es vor allem dem männlichen Teil der Bevölkerung schwer oder scheint sogar unmöglich, sich mitzuteilen oder über das zu sprechen, was sie im Innersten bewegt. Andererseits schreiben sie. Gedichte, Romane und - wer als Schriftsteller nicht veröffentlichen kann oder will – zumindest Tagebuch. Bekannte isländische Autoren wie Haldor Laxness oder Gunnar Gunnarsson genießen hohes Ansehen, große Bekanntheit und gelten als Autoritäten.
„In einem hast du allerdings recht, …, keiner sollte mit dem Schreiben anfangen, der uns nicht neue Augen verleihen will, der nicht die Lebenslügen durchleuchten, Verrat, Dummheit und Unrecht aufdecken und, ja, Sprengsätze entschärfen will. Schöne Worte sind nichts wert, wenn sie uns nicht zu besseren Menschen machen.“ (S. 380)
Der Autor erzählt poetisch bis pathetisch, tragisch bis humorvoll, beobachtend und emotional. Er deckt alle Spektren ab, die man von einem Buch erwarten kann – außer der Hoffnung auf einen leichten schnellen Lesespaß.
Wer ein Buch sucht, das auch nach Tagen noch durch den Kopf schwirrt, kann getrost zugreifen.