Rezension

James Bond meets Native Ninja

Das rote Kanu -

Das rote Kanu
von Wayne Johnson

Bewertet mit 2 Sternen

„Buck“ Michael Fineday will nicht mehr leben. Nach längerer Trennung hat er die Scheidungspapiere von seiner Frau Naomi erhalten - sie erträgt seinen Retterkomplex nicht mehr. Auftritt die 15jährige Lucy.  Buck gewinnt bald ihr Vertrauen und macht ihre Rettung zu seinem Daseinszweck. Er heckt einen Plan aus, den örtlichen Pädophilenring zu sprengen, in dessen Fänge Lucy geraten ist. Lucys Mutter ist bei einem Unfall umgekommen, Lucys Vater, ein Afghanistan-Veteran mit PTBS, kommt als Vertrauter nicht infrage.  Er hat ein Problem mit Impuls- und Aggressionskontrolle und ist nur händelbar, wenn Lucy perfekt spurt.

Als Lucys Freundin Jean dem Ring zum Opfer fällt, streift Lucy ihr Sortiment an Traumata (innere Blutungen durch Vergewaltigung, mögliche Schwangerschaft, ständige Bedrohung durch ihren unbeherrschten Vater, Tod der Mutter) ab wie nichts und wird zur Rächerin. Eine allzu plötzliche  Verwandlung, die mir zu wenig unterfüttert war. Lucys Freunde Ryan und Booker als die beiden wichtigsten Nebenfiguren bleiben bloße Funktionsträger – an ihnen demonstriert Johnson die Ausgrenzung der ethnischen Randgruppen. Ryan steht für superintelligente asiatische Nerds und Booker ist der coole, sportliche Schwarze. Weniger Tiefe und mehr Klischee geht nicht. Auch das harte und kompromisslose Verhalten von Bucks Frau Naomi blieb mir unverständlich, so dass ich mich die ganze Zeit gefragt habe, ob ich irgendwas nicht mitgekriegt habe.

Ab der zweiten Hälfte wird der Roman zum Actionkracher, der sich endgültig nicht um Wahrscheinlichkeiten schert. Die Teenager handeln plötzlich, als hätten sie eine Agentenausbildung durchlaufen, Ryan hackt Militär(!)systeme, Ryans alkoholsüchtige Mutter mutiert zu einer asiatischen Modesty Blaise, Lucys Vater überrascht mit Besonnenheit und übermenschlichen Körperkräften und Lucy wird zu Supergirl. Das Ganze hat was von einem James Bond – der einzige Unterschied ist, dass keine Motorboote durch die Luft fliegen. Stattdessen hat das rote Kanu seinen dramatischen Einsatz.

Johnson zeichnet eine düstere, gesetzlose Gesellschaft, in der das Recht keine Chance hat und der einzige Ausweg die Selbstjustiz ist. Das Hauptthema ist der Missbrauch und die Ermordung von indigenen Frauen. In einigen Regionen der USA, hauptsächlich in der Nähe von Reservaten, werden indigene Frauen 10mal häufiger Opfer von Gewaltverbrechen als der nationale Durchschnitt. Die Verbrechen werden nur selten aufgeklärt – und wenn, waren es meist nicht-indigene Täter.  Die Intention des Autors ist also durchaus ehrenwert, nur leider geht sie im unausgegorenen Plot, den flachen Figuren, ungeklärten Rätseln und der unwahrscheinlichen Action unter.

Das Nachwort von Jon Bassoff stellt die Theorie auf, dass Johnson mit Buck Fineday eine Art modernen Messias schaffen wollte, der die Bösen aus dem Weg fegt wie einst Jesus die Händler aus dem Tempel. Sollte Johnson das so gemeint haben, und Einiges spricht dafür, finde ich das reichlich krude. Dazu kommt, dass all die Rätsel um Buck nicht wirklich aufgeklärt werden – was war mit seinem Bruder, mit seiner Tochter, wer war Seraphim, was hat er nach seiner Baseballkarriere gemacht, wo und wann ist er Schreiner geworden, woher hat er seine Ausrüstung, wo hat er so kämpfen gelernt, welche zurückgehaltene Erklärung könnte die Beziehung zu seiner Frau retten? Es gibt Andeutungen, die so oder so interpretiert werden können, aber zu viele der aufgeworfenen Fragen bleiben unbeantwortet. Vielleicht liegt das daran, dass es ein bislang als Übersetzung nicht vorliegendes Prequel gibt. Wenn das der Grund ist, wäre der Verlag gut beraten gewesen, sich an die Reihenfolge zu halten.

Der Roman hat mich nicht überzeugt.