Rezension

Mäßig spannend und oberflächlich

Das rote Kanu -

Das rote Kanu
von Wayne Johnson

Bewertet mit 3 Sternen

REZENSION - „Für die, die zum Schweigen gebracht wurden, die kein Gehör fanden, die keine Stimme hatten.“ Diese Widmung hat der amerikanische Schriftsteller Wayne Johnson (68) seinem Kriminalroman „Das rote Kanu“ vorangestellt, der im Juli beim Polar Verlag erschien. Damit wird deutlich, dass es in der Geschichte um Native Americans geht: Michael Fineday, genannt Buck, der in der Sprache der Ojibwe eigentlich Miskwa‘doden (Roter Hirsch) heißt, handelt kontrolliert und methodisch, während die 15-jährige Lucy, deren Ojibwe-Name Gage‘bineh (Ewiger Vogel) ist, als emotional, impulsiv und waghalsig geschildert wird.

Buck, aufgewachsen und erzogen in einem katholischen Internat außerhalb des Reservats, lebt, inzwischen von seiner Frau Naomi getrennt, als Möbeltischler und Bootsbauer in einem Haus mit Werkstattschuppen in der Nähe des Shakopee Mdewakanton Sioux Reservats in Minnesota. Grund für die bevorstehende Scheidung war sein „Retterkomplex“ und die damit verbundenen Gefahren, kümmerte sich Buck doch mehr um andere als um sein Leben mit Naomi. Eines Tages taucht die schüchterne Lucy bei ihm auf. Sie ist die Tochter eines Ortspolizisten, der seit seiner Soldatenzeit im Irak-Krieg und dem Tod seiner Ojibwe-Ehefrau, die bei einem Autounfall mit Fahrerflucht ums Leben kam, mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen hat. Vater und Tochter leben im Reservat in einer armseligen Wohnwagensiedlung.

Nur sehr langsam baut sich zwischen Buck und Lucy ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis auf. Erst als sie sich in ihrer Muttersprache der Ojibwe unterhalten, fühlen sich beide seelisch verbunden. In Bruchstücken erfährt Buck nun, dass Lucy von den Kollegen ihres Vaters regelmäßig sexuell belästigt und missbraucht wird. Die Polizisten drohen dem Mädchen, ihren Vater umzubringen, sollte sie ihm etwas verraten. Buck spürt Lucys Hilflosigkeit und bietet ihr seine Hilfe an. Als Lucys beste Freundin Jean mit einer Drogen-Überdosis ermordet wird, spitzt sich die Situation zu.

Wayne Johnsons Krimi, dessen Kapitel jeweils zwischen Buck und Lucy als Hauptpersonen wechseln, ist zweigeteilt: Im ersten Teil, für dessen Lektüre man sehr viel Geduld aufbringen muss, erfahren wir nur zögerlich von Bucks Helfersyndrom und Lucys Leidensweg. Vieles wird nur angedeutet, bleibt im Unklaren, so dass sich erst ganz allmählich ein Bild zusammensetzt. Irgendwann wird allerdings erschreckend deutlich, dass es ausgerechnet der Polizist „Onkel Arn“ ist, der sich – nach einem geheimnisvollen Ersttäter, der Lucy eine Kette mit Kreuz umgehängt hat – als Zweiter am Mädchen vergangen hat, gefolgt von einigen Kollegen. Die Tragik für Lucy ist, dass ausgerechnet Polizisten, denen sie sich eigentlich hilfesuchend anvertrauen sollte, in diesem Fall die Täter sind. Deshalb sucht sie Schutz und Hilfe bei Buck. „Er wird ein ersehnter moralischer Kompass in einer scheinbar völlig unmoralischen Welt“, formuliert es US-Schriftsteller Jon Bassoff in seinem Nachwort, in einer Welt voller Rassismus, Frauenhass, Missbrauch und Pädophilie.

Während der Autor im ersten Teil seines Krimis mit „leisen Tönen“ arbeitet und die Geschichte sich nur schleppend entwickeln lässt, holt er im zweiten Teil alles an Tempo nach und – hier spürt man in Johnson den prämierten Drehbuch-Autor – liefert nach bester Blockbuster-Manier einen durchaus spannenden, stellenweise auch brutalen Action-Krimi, der in einem bildreichen Finale seinen Höhepunkt hat, in dem auch das von Buck und Lucy gemeinsam gebaute „rote Kanu“ als typisches Symbol der Native Americans eine entscheidende Rolle spielt. In der Turbulenz mancher Szenen mangelt es allerdings stellenweise an Logik.

Johnsons Krimi ist gewiss kein literarisch anspruchsvolles Werk, zumal er ernste Probleme um ethnische Minderheiten in den USA recht oberflächlich mit allzu schlichten Stereotypen abhandelt: Da sind auf der einen Seite die Native Americans Buck und Lucy als die Guten. Dazu gehören auch Lucys beste Freunde, der Chinese Ryan und der Schwarze Booker, die ihr unter Lebensgefahr beistehen. Auf der anderen Seite stehen die Bösen, die korrupten Polizisten und ein geheimnisvoller Haupttäter als Vertreter der alles beherrschenden Mehrheit weißer Amerikaner. Zusammengefasst ist „Das rote Kanu“ ein typischer, filmreifer US-Krimi, den man gern für ein paar Stunden zur Ablenkung und Unterhaltung lesen darf, aber nicht zwingend lesen muss.