Rezension

Kälte im Herzen und Kälte in der Lagune

Ein Winter in Venedig - Claudie Gallay

Ein Winter in Venedig
von Claudie Gallay

Bewertet mit 3 Sternen

Von ihrem Liebhaber verlassen, flüchtet die Erzählerin nach Venedig. Es ist kurz vor Weihnachten, jene Zeit im Jahr, in der die ewige Stadt nicht von Touristen bevölkert wird, in der »la Serenissima« ihr echtes Gesicht zeigt. Um ihren Kummer zu vergessen, spaziert sie durch die nebelverhangenen Gassen, vorbei an verlassenen Gondeln, über mit Raureif bedeckte Brücken. Ihre einzige Gesellschaft sind die anderen Bewohner der kleinen Pension, in die sie sich eingemietet hat: Ein alter russischer Aristokrat mit bewegter Vergangenheit, eine junge Balletttänzerin im Taumel der Gefühle und ein Buchhändler, der Bücher wie die Luft zum Atmen braucht – und der allmählich in ihr die Hoffnung weckt, dass die Liebe auch ihr gebrochenes Herz wieder heilen kann. (Klappentext)

Von den drei ins Deutsche übersetzten Romanen „Brandungswelle“ (2008), „Die Liebe ist eine Insel“ (2010) ist dieser der erstgeschriebene und zuletzt bei uns publizierte, obwohl die Autorin vorher und nachher andere Werke in ihrer Muttersprache veröffentlicht hat. 

Allen dreien gleich ist die Bestimmung von Atmosphäre, Handlung und Personen durch das Wetter; Stürme, Wind und Nebelbänke in der Normandie, Bruthitze und sengende Sonne in Avignon und hier Aqua alta, Frost, klamme Kälte und Schnee in Venedig. 

Außen und Innen entsprechen einander: Die Erzählerin fühlt sich einsam, im Stich gelassen von einem Mann und ohne Freunde oder nähere Kontakte. Nachdem sie sich einige Monate in ihrer Wohnung in Paris isolierte und anfing, seltsame Marotten zu entwickeln, flüchtet sie nach Venedig. Doch vor ihrem Kummer und ihren trüben Gedanken kann sie nicht fliehen. 

Luigi, der Besitzer der Pension, in die sie zieht, bereitet jedes Weihnachtsfest für seine Tochter vor und wartet vergeblich auf sie. Ein alter russischer Fürst, der im Rollstuhl sitzt, träumt immer noch seiner großen Liebe nach. Nur das junge Pärchen im dritten Zimmer, Carla und Valentino, frönt laut und glücklich seiner Liebe. (Den Buchhändler hat der Klappentext fälschlicherweise in die Pension gesetzt; er besitzt ein kleines Antiquariat ein paar Straßen weiter.) 

Es sieht fast so aus, als hätten sämtliche Bewohner des Hauses darauf gewartet, dass die Protagonistin kommt, denn in den wenigen Wochen ihres Aufenthaltes bewegt sich alles, und niemand steht an derselben Stelle wie bei ihrer Ankunft. Als sie fährt, haben sich zumindest vier Leben entscheidend verändert. 

Dieser Roman hat mich im Gegensatz zu den beiden anderen Büchern, die ich sehr gut, bzw. ausgezeichnet finde, nur mäßig begeistert. Die Protagonistin blieb mir fremd und distanziert, und die Anredeform des „Sie“, womit sie den Buchhändler meint, scheint mir missglückt.
Möglicherweise liegt mein Unbehagen an der Jahreszeit: Während mich der in Avignon spielende Roman, den ich im vergangenen Monat las, mit seinem trockenen heißen Sommer wärmte, entsprachen sich bei dem Venedig-Leseerlebnis mein Innen und das Außen zu sehr. – Vielleicht hätte ich es nicht im Winter lesen sollen.