Rezension

Kann man sich ansehen, muss man aber nicht

Seht mich an -

Seht mich an
von Anita Brookner

Bewertet mit 3 Sternen

Der Eisele Verlag hat die 1928 geborene und 2016 verstorbene Anita Brookner, welche mit „Hotel du Lac“ 1984 den Booker Prize gewonnen hat, für den deutschen Markt wiederentdeckt und bringt nun – einheitlich mit vorangegangenen Veröffentlichungen – den Roman „Seht mich an“ aus dem Jahre 1983 heraus.

Wie einige andere Romane der Autorin beschäftigt sich auch dieser mit der Einsamkeit einer alleinstehenden Frau, jungen bis mittleren Alters, die wohl recht nah an der Autorin selbst angelegt ist. Frances arbeitet als Mitarbeiterin einer medizinischen Bibliothek, welche sich auf die Darstellung von Erkrankungen und Tod in vergangenen Jahrhunderten beschäftigt. Sie lebt allein in der Wohnung ihrer bereits verstorbenen Eltern. Die Mutter pflegte sie noch bis vor zwei Jahren zusammen mit der Haushälterin Nancy, welche die Bedienstetenkammer bewohnt, bis zum Tod. Nun ist nur noch Nancy als Mitbewohnerin in dieser dunklen, altmodischen Wohnung in London übrig. Frances‘ Familie erwirtschaftete „neues“ Geld, weshalb Frances auch jetzt noch recht wohlhabend ist. Trotz allem fühlt sie sich in ihrem Alltag allein und findet erst Kontakt zur Welt, als das schillernde Ehepaar Nick und Alix, welche „altes“ Geld durch die Kolonialgeschichte Großbritanniens besitzen, sie auserwählt, um ihrer Freundschaft würdig zu sein.

Der Roman beginnt mit hochinteressanten Betrachtungen zu Bildnissen von Wahnsinn, Depressionen und Tod in der Kunstgeschichte, sowie einer kurzen Vorstellung der Figuren, welche sich in der besagten Bibliothek herumtreiben. Mit einer sehr präzisen und literarisch niveauvollen Sprache beschreibt Brookner nicht nur diese Bildnisse sondern auch Frances und ihr Umfeld. Atmosphärisch bekommt mein ein Gefühl für ihre beklemmende Wohnung aus einem vorherigen Jahrhundert wie auch für ihre beklemmende Lebenssituation und dem Hadern mit der Einsamkeit sowie dem Wunsch nach sozialer Anerkennung ihrer Person. Nach diesen ersten ca. 70 Seiten verfällt jedoch der Roman leider in eine ständige Wiederholung Frances‘ hadern mit sich und der Welt. Sprachlich zwar weiterhin brillant aber inhaltlich zunehmend nervig gestaltet Brookner die Innenansicht der Ich-Erzählerin Frances. Diese hat in ihrem sozialen Umfeld einige „prototypische“ Einsame und möchte keinesfalls so enden wie diese, weshalb sie sich den auf den ersten Blick unsympathischen und ausnutzenden Nich und Alix anbiedert. Zwischenzeitlich analysiert sie sogar immer wieder, wie falsch diese beiden handeln und wie falsch sie auch für Frances sind, trotzdem sucht sie immer wieder den Kontakt, möchte sie unbedingt von diesen beiden Menschen gesehen werden. Kurze Erleichterung beim lesen kommt auf, als ein potentieller Liebespartner für Frances auftaucht, nur leider entwickelt sich auch daraus nichts Gutes.

So bewegt sich dieser Roman über mindestens die restlichen 200 Seiten immer wieder vor und zurück. Wie bei einer Flimmerbewegung kreist Frances immer wieder um dieselben Probleme, kommt aber nicht vom Fleck. Eine Entwicklung macht die Figur Frances also leider nicht durch, sie zeigt keinerlei Veränderungspotential. Und so wie die Figur Frances in ihrer Position als alleinstehende „alte Jungfer“ scheinbar eingefroren erscheint, so eingefroren erscheint auch sie und ihr Umfeld in der Zeit. Der Roman wurde 1983 geschrieben, spielt aber schätzungsweise – und wie man aus dem Nachwort von Daniel Schreiber entnehmen kann – Mitte/Ende der 1960er Jahre, den Swinging Sixties, der Zeit kurz bevor und während junge Menschen den Mief der alten Zeit abschütteln wollten und dann sogar politisch aktiv wurden und auf die Straße gingen. Davon merkt man diesem Roman überhaupt gar nichts an; nicht einmal dem schillernden Ehepaar Nick und Alix. Alle Figuren ebenso wie das Wohnumfeld und die gesellschaftlichen Normen scheinen hier wie aus der Zeit gefallen. In Kombination mit der altbackenen - wie gesagt, wenn auch tollen, präzisen - Schreibe der Autorin wirkt es so, als würde man einen Roman aus dem 19. Jahrhundert lesen. Auch wenn das Thema Einsamkeit grundsätzlich zeitlos ist, da es in jeder Generation, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen und mit anderen Belastungen, auftritt, so erscheint der vorliegende Roman hingegen nicht zeitlos, sondern hingegen wirklich nicht gut gealtert. Trotz der scharfsinnigen Sätze der Autorin bin ich ob der stillstehenden Handlung mitunter eingenickt beim Lesen. Das ist leider nie ein gutes Zeichen bezüglich einer Lektüreerfahrung.

Das Nachwort von Daniel Schreiber, Autor des kürzlich veröffentlichten Essaybandes „Allein“, ist durchaus lesenswert, da es den Romaninhalt mit der Biografie Anita Brookners in Zusammenhang bringt. Mit manchen seiner Deutungen des Romans, sowie seiner Idee im Roman finde sich „kühler Humor“, gehe ich zwar nicht konform. Trotzdem handelt es sich bei dem Text um eine gute, mitunter erhellende Ergänzung zum Roman.

Ich hätte sehr gern mit dem sehr klug ausformulierten Schreibstil der Autorin ein inhaltlich interessanteres, also ein anderes, Buch gelesen. So kann ich abschließend „Seht mich an“ nicht unbedingt empfehlen, wenngleich ich es nicht unglaublich schlecht finde. Das Buch ist okay, wird aber das letzte sein, welches ich von der Autorin gelesen habe, gerade weil sich ihre Werke inhaltlich recht stark ähneln sollen.

3/5 Sterne