Rezension

Kehrtwende zerstört gute Story

Der fremde Gast - Charlotte Link

Der fremde Gast
von Charlotte Link

Bewertet mit 3 Sternen

In Südfrankreich will sich die verwitwete Rebecca Brandt das Leben nehmen. Nur in letzter Sekunde wird sie von einem alten Freund aus Deutschland aufgehalten, der auf seinem Weg zu ihr auch noch das Tramper-Pärchen Inga und Marius in ihr abgeschiedenes Leben wirft. Zur selben Zeit wird in München ein Ehepaar auf bestialische Weise ermordet. Wie passt das mit den Drohbriefen zusammen, die die Vergangenheit mehrerer Frauen unangenehm beleuchten?

Zunächst war ich begeistert. Raffinierte Zusammenhänge und überraschende Wendungen, alles was ein Thriller für mich braucht. Endlich ertappte ich mich wieder mal beim Innehalten um alle Informationen in meinem Laien-Detektiv-Gehirn zusammenzufügen. Es gelang mir zwar relativ schnell den Täter zu überführen, dennoch hätte mir das allein den Rest des Buches nicht verdorben. Zumal ich erleichtert feststellte, dass Charlotte Link sich diesmal (!) nicht zu sehr mit den persönlichen Problemen unwichtiger Nebencharaktere auseinandersetze.

Doch dann kam die verhängnisvolle 52. Seite vor Schluss. In einem Anflug von Übermut wollte Charlotte Link noch einmal alles herumdrehen. Sie riss die Story komplett aus ihrer feingesponnenen Logik, zerstörte jeglichen Hauch von Realitätsnähe. Wozu? Das frage ich mich auch! Sie wollte wohl jedem Leser, der dachte er hätte den Fall durchschaut, ein Schnippchen schlagen. Doch war es das wert? Nein. Absolut unnötig, selbstzerstörerisch und künstlich wirkt jene aggressiv aufgezwungene Umwälzung. Sie nahm mir jede Empathie, Begeisterung und Anspannung. Die Unterhaltung wurde zur Pflichtlektüre, die es hinter sich zu bringen galt.

Wie ich da noch 3 Sterne zusammenkratzen konnte? Charlotte Link verstand es meine Gefühle zu leiten und meinen Kriminalsinn zu aktivieren. Ich mag es nach wie vor sehr, dass sie - im Gegensatz zu Tess Gerritsen zum Beispiel - als Täter immer jemanden nimmt, den der Leser kennenlernt, ohne dass es direkt auffällt. Die Kulisse ist wieder schön gesetzt ohne 15 Seiten der Meeresbrise zu widmen. Kleiner Bonus für die Anspielung auf das Chez Henri (--> Die Täuschung). Macht 4 Sterne und einen ganzen Abzug für die letzten 52 Seiten.