Rezension

Kein Buch für nebenbei

Die Stadt am Ende der Zeit - Greg Bear

Die Stadt am Ende der Zeit
von Greg Bear

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ich bin wirklich zwiegespalten. Und das Buch gibt auch Anlass dazu.
Zuerst einmal wird einem eine große Anzahl an Personen vorgesetzt. Auf der Protagonisten-Seite wären da beispielsweise Ginny, Jack, Daniel, Jebrassy, Tiabda, die vier Hexen, Ghentum usw. Bei den Gegenspielern lernen wir u.a. Whitlow, Max Glaucous, den Nachtfalter kennen. Und dann gibt es noch die bleiche Herrin, Ishanaxade und Sangmer, den Pilger, Mnemosyne, Polybiblios, den Bibliothekar und viele mehr. Der gesamte Roman hat einfach ein unglaublich großes Personal, das man doch den Überblick verlieren kann. Ich jedenfalls hatte lange Zeit keinen rechten Überblick.

Dazu kommt etwas, das sowohl genial als auch schwierig für den Leser ist. Bear entwickelt hier eine unglaubliche Welt, eine unglaubliche Zukunftsvision mit Dingen, die der Mensch heute sich nicht einmal vorstellen kann. Er entwickelt Völker, Welten und Götter und dabei passiert das Gleiche, wie bei dem großen Personal: Man verliert den Überblick. Mit den neuen Worten wird der Leser überhäuft und ich bin sicher, dass man selbst beim wiederholten Durchlesen immer noch Dinge findet, die sich einem nicht gleich erschließen:

Bosonische Aschuren waren von ihrem Eroberungszug durch Lichtjahre dunkler Materie zurückgekehrt und hatten sich über alle anderen erheben wollen, waren jedoch von den mesonischen Kanjuren unterworfen worden, die ihrerseits den aus Quarkintegralen zusammengesetzten Devas unterlegen waren. Später hatten die Devas sich gezwungen gesehen, das Feld den Noetikern zu überlassen. Noetische Masse war ihm strengen Sinn gar keine Materie - eher ein Bindemittel zwischen Raum, Schicksal und zwei von sieben Aspekten der Zeit.
 S.340

Und durch diese Anzahl an Personen und Inhalt passiert soviel, dass stellenweise nichts passiert. Man lernt die vielen Personen kennen, wird durch Passagen, aus denen auch das obrige Zitat stammt, in die Welt eingeführt und irgendwie auch nicht. Und ich muss gestehen, bis weit zum Ende hin hatte ich keine Ahnung, was genau der Inhalt nun bezweckt. Die Welt, die Bears entwickelt, hat mich fasziniert, sein Schreibstil ist leicht, bildreich und es macht Spaß zu lesen, zumindest dann, wenn die Passagen nicht nur aus neu eingeführten Wörtern bestehen.
Nur der Inhalt, das Ziel, kam irgendwie zu kurz. Man weiß, dass da die Stadt am Ende der Zeit ist, vorne ist auch eine Zeichnung über ihren Aufbau zu finden, man lernt verschiedene Charaktere kennen, verschiedene Fähigkeiten. Doch was passiert eigentlich? Na ja, da ist die Kalkfürstin, die Integralläufer und Schicksalswandler fangen und töten lässt. Man hat eben diese Springer auf vertikaler Ebene. Einen scheinbar unsterblichen Buch-Hüter und seine Katzen. Dann gibt es noch Träumer, in beiden Zeitlinien. Die Bücher von Ishanaxade und ihrem Pilger. Den Hüter Ghentum, der auf ein Gespräch mit dem Bibliothekar wartet. Eine Gruppe Kalpa, die die vom Chaos beherrschte Ebene durchqueren sollen, auf der Suche nach einer legendären Stadt. Chaos? Ja, genau. Das Chaos ist schließlich das, was passiert. Nicht nur im Text selbst, auch das Buch wird stellenweise schlicht und einfach chaotisch. Letzten Endes frage ich mich immer noch, was jetzt eigentlich passiert ist. 

Fazit

Stadt am Ende der Zeit ist kein Buch für nebenbei, kein Buch, um es nur einmal zu lesen. Man muss sich konzentrieren, man muss dabei sein (und es hilft, eine Personen-Mind-Map zu erstellen, wenn man durcheinander kommt). Die Zusammenhänge erschließen sich erst spät, aber irgendwann passiert es dann doch. Aber trotz allem würde ich das Buch eher Liebhaber von Technik und technischen Dystopien empfehlen. Wer keine offenen Fragen mag, ist hier vielleicht eher fehl am Platz, denn bei so vielen Neuentwicklungen und Ideen kommt zweifellos immer etwas zu kurz.