Rezension

kitschfreie Familiengeschichte

Unter dem Baum des Vergessens - - Alexandra Fuller

Unter dem Baum des Vergessens -
von Alexandra Fuller

Bewertet mit 5 Sternen

Spätestens seit "Die Krallen des Löwen: Meine Zeit mit einem afrikanischen Krieger" hat sich Alexandra Fuller als Autorin ernster Töne etabliert. Auch wenn ihr deutscher Verlag mit der Abbildung imponierender Bäume vor romantischem Himmel noch immer Afrikaklischees bedient, geht es in Fullers Biografie völlig kitschfrei um die reale Angst ihrer Familie im Krieg um die Unabhängigkeit des Nachbarlands Mozambik (1977-1992) und die Bedrohung ihrer Existenz als Farmer durch die politische Situation im südöstlichen Afrika. Fullers Buch entsteht vor den Augen des Lesers im Gespräch mit ihren Eltern; es umfasst das Leben ihrer Mutter Nicola (geboren 1944 auf der schottischen Insel Skye) und das Familienleben vor Alexandra Fullers Geburt, die das dritte von fünf Kindern ist. Nur zwei Kinder der Fullers überleben. Eine Frau muss als Nachkomme der MacDonalds vom Clan der Reynolds wohl 1 Million Prozent schottisches Blut haben wie Nicola Fuller, um mit zwanzig Jahren als Au-Pair-Mädchen "in die Kolonien" nach Kenia zu gehen und schließlich auf einer Bananenfarm bei Umtali (jetzt Mutare) dicht an der Grenze zu Mozambik zu landen. Ein Teil der geschilderten Ereignisse liegt zeitlich vor Fullers Kindheitserinnerungen "Unter afrikanischer Sonne: Meine Kindheit in Simbabwe".

Mutter und Tochter gehören zwei gegensätzlichen Generationen an. Die Mutter, die einmal darüber lästert, die Fullers wären die Blixens Zambias, wurde noch zu Zeiten britischer Kolonien geboren, die Tochter mitten in die Unabhängigkeitskriege dieser Staaten hinein. Eine der Schlüsselszenen des Buches war für mich die gemeinsame Heimfahrt der Familie aus dem Krankenhaus nach der Geburt der dritten Tochter Olivia. Vater Tim fährt den Jeep, die Mutter Nicola hält die Uzi vor sich, die Töchter sollen das Baby mit ihren Körpern beschützen, während Alexandra Fuller betet: "Bitte nicht Tim, bitte nicht das Baby". Das farbige, chaotische Leben der Fullers ist natürlich auch von Hunden, Pferden und den Gerüchen tropischer Pflanzen geprägt. Warum in Afrika aufgewachsene Weiße sich kein Leben außerhalb ihrer eigenen Farm vorstellen können, wird durch das Hinundherziehen der Fullers nach England und wieder zurück nach Afrika sehr deutlich. "Unter dem Baum des Vergessens" ist die gemeinsame Erinnerung einer Familie, in der die Gewalt eines Bürgerkriegs und der tragische Verlust von drei Kindern der Fullers eine entscheidende Rolle spielen. Mutter Nicola Fuller, die bereit war, ihre Familie mit der Waffe gegen bewaffnete RENAMO-Rebellen zu verteidigen, prägt in ihrer unerschrockenen Art den Ton des Buches.