Rezension

Kurzgeschichten zum Nachdenken

Und konnten es einfach nicht fassen - Sabine Thomas

Und konnten es einfach nicht fassen
von Sabine Thomas

Bewertet mit 4 Sternen

Zum Inhalt

Sabine Thomas ist seit 1984 als Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Familienrecht tätig. In ihrem Buch „Und konnten es einfach nicht fassen“ erzählt sie in 16 Kurzgeschichten einige ihrer interessantesten, tragischsten Fälle nach, von Ehekrisen, Sorgerechtsstreitigkeiten, Kindesmissbrauch, Alkoholismus, Mord, gescheiterten Existenzen und schmerzlichen Erinnerungen.

Meine Meinung:

Den Titel ihrer Kurzgeschichtensammlung hat sich die Autorin von Erich Kästners Gedicht „Sachliche Romanze“ ausgeliehen. Bis auf dieses Gedicht, das quasi als Vorwort dient, gibt es keine weiteren Erläuterungen. Ich hätte ein Vor- oder Nachwort der Autorin begrüßt, in dem sie z. B. über ihre Ambitionen für dieses Buch geschrieben hätte, aber vielleicht wollte sie einfach die Geschichten ohne jegliche Erläuterungen für sich stehen und wirken lassen.

Der Schreibstil hat mir gut gefallen. Niveauvoll und eloquent, dennoch leicht verständlich, so dass sich das Buch flüssig lesen lässt. Sabine Thomas stellt die Schicksale ihrer Mandanten in den Vordergrund, bleibt dabei aber sachlich und bewertet nicht. Ich bin ihr dankbar, dass sie auf kompliziertes Rechtsvokabular verzichtet und für Leser ohne jegliche Jurakenntnisse leicht verständlich geschrieben hat. Dennoch kann man das ein oder andere aus dem Rechtsbereich von ihr lernen. Z. B. wusste ich nicht, dass im deutschen Recht bis vor wenigen Jahren verheiratete Paare, bei denen sich ein Ehepartner einer Geschlechtsumwandlung unterziehen möchte, gesetzlich zur Scheidung gezwungen wurden.

Da Sabine Thomas als Anwältin die Anonymität ihrer Mandanten wahren muss, sind die Geschichten nicht 1:1 nacherzählt, sondern wurden basierend auf echten Begebenheiten rekonstruiert und modifiziert.

Die Stories sind inhaltlich völlig voneinander losgelöst und haben nichts miteinander zu tun, außer dass die Wege der Betroffenen irgendwann in die Kanzlei von Sabine Thomas führen. Sie schreibt nicht nur darüber, was mit ihren Mandanten passiert, während sie sie rechtlich vertritt, sie erzählt auch deren Lebensgeschichten davor und die genaueren Umstände, die überhaupt dazu führten, dass diese Menschen letztendlich zu ihr kamen.

Schade ist es, dass die Kurzgeschichten eben nur Kurzgeschichten sind, denn die Schicksale müssen meist offen bleiben, und oft genug wollte ich zu gerne wissen, wie es denn nun weiterging. Vermutlich hätte man aus fast jeder dieser Kurzgeschichten ein eigenes Buch machen können.

Meine Reaktionen auf die einzelnen Geschichten waren sehr unterschiedlich. Nur wenige konnten mich wirklich berühren, wie z. B. die Geschichte von Katja, die bei einem Unfall entsetzlich entstellt wird, was zu einer enormen Belastung für ihre bis dahin sehr glückliche Ehe führt. Oder die Erinnerungen einer ehemaligen KZ-Insassin. Andere Stories wiederum fand ich eher langweilig und nichtssagend. Z. B. die Teenagermutter, die sich mit ihrem Ex-Freund vor Gericht um das Sorgerecht streitet. Oder der alkoholkranke Möchtegern-Charmeur, der wegen sexueller Belästigung vor Gericht steht, was ihn jedoch ziemlich kalt lässt. Die meisten Fälle sind nicht sonderlich spannend, haben keine Highlights in dem Sinne, sind jedoch sehr interessant und oft erschütternd, insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass sie so oder so ähnlich tatsächlich passiert sind.

Die Geschichten regen zum Nachdenken an und wirken noch lange nach. Zum Glück enden nicht alle von ihnen schlecht, aber zum Schmunzeln und Lachen wird man hier dennoch nichts finden.