Rezension

Leere Seiten und was sie bedeuten

Killing Pretty -

Killing Pretty
von Richard Kadrey

Bewertet mit 3 Sternen

Als ich meine Rezension von „Killing Pretty“ von Richard Kadrey beginnen wollte, erwartete mich eine böse Überraschung: Ich hatte keinerlei Notizen verfasst. Wie konnte das passieren konnte und was sagen die leeren Seiten über meine Leseerfahrung mit dem siebten „Sandman Slim“-Band aus?

Heute erwartet euch eine ungewöhnliche Variante einer Rezension. Ich konnte keine normale Besprechung schreiben, also habe ich die beste Annäherung verfasst, die ich zustande bringen konnte. Es ist eine Situation, die es auf dem wortmagieblog meines Wissens noch nie gab. Dass ich in diese Situation geraten bin, ist jedoch nicht allein meine Schuld. Einen Teil der Verantwortung trägt auch das Buch, um das es heute gehen soll: „Killing Pretty“ von Richard Kadrey.

James Stark aka Sandman Slim hat bereits jede Menge absurden Mist erlebt. Doch die neuste Komplikation verwandelt sein Leben endgültig in eine Freakshow: Der Tod wurde ermordet. Oder so ähnlich. Tot ist natürlich nur der menschliche Körper, in den er gebannt wurde. Ohne Herz kein Wunder. Mit einer klaffenden Wunde in der Brust taucht er ausgerechnet vor Starks Tür auf und bittet um Hilfe. Obwohl ihn das Attentat nicht umbrachte, ist er nicht länger der Tod. Sein Job, die Aufgabe, die ihn definierte, wurde ihm entrissen. Seitdem stirbt niemand mehr.

Praktischerweise hat Stark selbst gerade erst einen Job an Land gezogen. Als Angestellter in Julies Privatdetektei für übernatürliche Fälle wird er fürs Herumschnüffeln sogar bezahlt. Bei seinen Methoden sind sie sich nicht immer einig, aber besondere Umstände erfordern eben besondere Maßnahmen. Denn will er verhindern, dass es auf der Erde sehr bald sehr kuschlig wird, muss Stark herausfinden, wer den Tod tot sehen wollte.

„Killing Pretty“: Leere Seiten

Um Rezensionen verfassen zu können, bin ich auf meine Notizen angewiesen. Es ist essenziell, dass ich möglichst direkt nach der Lektüre aufschreibe, was mir zu einem bestimmten Buch durch den Kopf geht. Dieser ungefilterte erste Eindruck ist die Basis jeder Besprechung.

Manchmal sind meine Notizen äußerst ausführlich, analytisch und gehen bereits enorm in die Tiefe. Manchmal sind sie hingegen eher oberflächlich und bieten mir stattdessen einen Ausgangspunkt, von dem aus ich gedanklich nachforsche und Themen, Motive oder Dynamiken drehe und wende, bis ich zu einer Erkenntnis gelange, auf der ich meine Rezension aufbauen kann.

Ihr seht, meine Notizen sind extrem wichtig für mich. Es war daher wie ein Schlag ins Gesicht, als ich meine Notizen zu „Killing Pretty“ von Richard Kadrey konsultieren wollte und feststellen musste, dass ich keine angefertigt hatte.

Ich glaube, das ist in all der Zeit, die ich den wortmagieblog nun schon betreibe, noch nie vorgekommen – es sei denn, ich habe mich bewusst dafür entschieden. Dann habe ich die entsprechende Rezension aber normalerweise sofort nach der Lektüre geschrieben, nicht Monate später.

Nachdem ich den initialen Schock dieser Entdeckung überwunden hatte, kam ich schnell ins Grübeln. Denn die Tatsache, dass ich keinerlei Notizen zu „Killing Pretty“ aufgeschrieben habe, sagt etwas aus. Aber was? Was heißt es, dass ich nichts dokumentiert habe, als ich das Buch im November 2020 beendete?

Nun, erst einmal bedeutet es wohl, dass ich offensichtlich kein Bedürfnis hatte, etwas aufzuschreiben. Berücksichtige ich außerdem, dass ich mich lediglich an eine einzige Szene des siebten Bandes der „Sandman Slim“-Reihe erinnere und darüber hinaus an gar nichts, muss ich schlussfolgern, dass er scheinbar keine emotionale Reaktion in mir auslöste, die ich festhalten wollte. Es scheint sich um eine Lektüre gehandelt zu haben, die sich mit einem Schulterzucken beschreiben lässt.

Kombiniere ich diesen beiden Faktoren, lassen sie nur eine Ableitung zu: „Killing Pretty“ hat bei mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich schätze, ich wusste einfach nicht, was ich schreiben sollte und habe diese Aufgabe daher aufgeschoben. Doch je länger ich sie aufschob, desto mehr verblasste die Geschichte in meiner Erinnerung, bis ich nichts mehr schreiben konnte.

Zugegebenermaßen schmerzt es mich enorm, dass dies ausgerechnet bei einem „Sandman Slim“-Band passiert. Stark ist doch mein Kumpel, dessen Abenteuer ich immer unbedingt mögen will. Die Bewertung, die ich damals vornahm (3 Sterne) sagt mir, dass mich „Killing Pretty“ durchaus unterhielt, doch die gähnende Leere in meinem Notizbuch belegt, dass da eben auch nicht mehr war. Schade.

In Vorbereitung auf diese … nennen wir es mal spaßeshalber „Rezension“, musste ich das Buch also noch einmal quergelesen. Meinem Gedächtnis half dieser Schritt leider überhaupt nicht auf die Sprünge; ich hatte keine Epiphanie, keinen großen Durchbruch, in dem mir plötzlich alles wieder eingefallen wäre.

Dennoch gelang es mir, ein gewisses Gespür für die Geschichte zu entwickeln, das sich höchstwahrscheinlich kaum von den Emotionen unterscheidet, die ich bei meiner originalen Lektüre durchlebte. Von diesen recycelten Gefühlen möchte ich euch heute berichten.

Recyclte Emotionen

Erst einmal muss ich festhalten, dass „Killing Pretty“ meiner Ansicht nach nicht dasselbe Actionlevel aufweist, das ich aus den vorangegangenen Bänden kannte. Stark dümpelt viel herum, stellt jede Menge Theorien auf, wer für den Mord am Tod verantwortlich sein könnte und betreibt ansonsten überraschend häufig stinknormale und stinklangweilige Ermittlungsarbeit.

Passt nicht zu ihm? Nein, definitiv nicht. Jemanden, der als Höllengladiator in der Arena gekämpft hat, möchte man nicht bei einschläfernden Überwachungen oder unspektakulären Befragungen sehen. Persönlich will ich auch nicht, dass sich Stark vernünftig oder zivilisiert verhält. Das ist nicht das, was ich von ihm erwarte. Es scheint aber das zu sein, was sein Umfeld von ihm erwartet.

Es irritierte mich zutiefst, dass sein Boss Julie und seine Freundin Candy offenbar überzeugt sind, sie müssten aus Stark einen respektablen Mann oder zumindest ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft machen. Ich konnte beim Durchfliegen durch „Killing Pretty“ mehrfach beobachten, wie sie ihn für sein aggressives, impulsiv-explosives Verhalten kritisieren.

Nun tun sie das natürlich aus den besten Gründen und in seinem Interesse. Sie sorgen sich um ihn. Sehr löblich. Doch … Entschuldigung, aber sind es nicht genau diese Eigenschaften, die Candy an ihm einst so attraktiv fand? Die Gefahr, die er verkörpert? Sind es nicht diese Eigenschaften, für die Julie ihn einstellt? Eben weil er Methoden anwendet, die sie niemals anwenden würde und deshalb Antworten erhält, während sie nur Schweigen erntet?

Diese Wandlung störte mich bei Candy besonders, da ich sie unplausibel finde. In den früheren Bänden der „Sandman Slim“-Reihe konnte ich sie nicht leiden, weil sie die Gefahren seines Lebens nicht ernstnahm und ihn dadurch unnötig in riskante Situationen verwickelte. Dieselbe Frau erklärt ihm jetzt in „Killing Pretty“, dass ihr seine gewaltbereite Impulsivität Angst macht.

Ich begrüße es, dass Candy mittlerweile verstanden hat, dass die Kämpfe, die Stark austrägt, kein Spiel sind. Auch freut es mich, dass sie sich weiterentwickelt, denn ich glaube, dass sie wirklich zu der Partnerin werden könnte, die er an seiner Seite braucht. Doch ihm nach dieser Vorgeschichte vorzuwerfen, wer und wie er ist – das erscheint mir sehr unfair. Dann sollte sie auch darüber nachdenken, inwiefern sie Anteil an dieser Ausprägung seiner Persönlichkeit hatte.

Der Fall an sich ist ebenfalls keine Glanzstunde – weder für Richard Kadrey noch für Stark. Die Idee, den Tod zu ermorden, ist selbstverständlich grandios. Nur ist es leider das einzig Schmeichelhafte, das sich über die Handlung von „Killing Pretty“ sagen lässt. Die Suche nach den Täter_innen – den Tod murkst schließlich niemand einfach so allein ab – ist ein verwirrendes Hin und Her mit zu vielen Parteien.

Ich bin mir nicht sicher, ob Richard Kadrey falsche Fährten legen wollte, ob ihm erst beim Schreiben klarwurde, welche Richtung der Fall einschlagen sollte oder ob er wirklich glaubte, all diese Windungen seien notwendig für die Geschichte. Egal, was zutrifft – ich vermute, dass das Fehlen eines roten Fadens dazu beigetragen hat, dass sich „Killing Pretty“ nicht in meinem Gedächtnis verankerte. Ohne Starks einzigartigen Humor hätte das Buch wahrscheinlich nicht mal drei Sterne von mir bekommen.

Ich gehe davon aus, dass meine latente Unzufriedenheit mit „Killing Pretty“ der Grund dafür war, dass ich keine Notizen verfasst habe. Ich glaube, ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich schon wieder enttäuscht war. Das ist ein Effekt, der sich mit dem vierten Band „Devil Said Bang“ eingeschlichen hat und sich seitdem stetig reproduziert. Nun hat er mich so weit getrieben, dass ich nicht mal mir selbst gegenüber zugeben wollte, dass die „Sandman Slim“-Reihe für mich nur noch dank des Protagonisten funktioniert.

Das ist die grausame Wahrheit. Ich liebe Stark. Ich werde ihn immer lieben und seine Abenteuer deshalb (vorerst) weiterverfolgen. Betrachte ich hingegen einzig und allein die Geschichten, die Richard Kadrey erzählt, müsste ich die Reihe an dieser Stelle abbrechen. Eigentlich sind sie nicht gut genug, um meine Zeit dafür zu opfern. Immer ist es zu viel, zu kompliziert, zu chaotisch, zu inkonsequent.

Ich werde einen Weg finden müssen, mich damit abzufinden. Ich werde auch einen Weg finden müssen, wie ich damit in meinen Rezensionen umgehen möchte, damit ich nicht noch einmal auf leere Notizbuchseiten starre. Ich muss einen Blickwinkel einnehmen, der es mir erlaubt, die „Sandman Slim“-Reihe zu lesen, ohne jedes Mal Enttäuschung zu empfinden. Ob das überhaupt möglich ist, steht derzeit noch in den Sternen.