Rezension

Leiser, leider nicht klischeefreier Thriller, der sein volles Potenzial erst in der zweiten Hälfte ausschöpft

In a Dark, Dark Wood - Ruth Ware

In a Dark, Dark Wood
von Ruth Ware

Bewertet mit 4 Sternen

Wer „In A Dark, Dark Wood“ zum ersten Mal in den Händen hält, dem werden neben dem außergewöhnlich gestalteten Titel auch die zahlreichen positiven Kritiken ins Auge fallen, mit denen der Buchumschlag übersät ist. „Hypnotisierend“ soll dieses Buch sein, ein „gruseliger Pageturner“ also – da bleibt dem Leser kaum etwas Anderes übrig, als eine kleine Revolution des Thriller-Genres zu erwarten. Warum „In A Dark, Dark Wood“ diese Erwartungen nicht oder zumindest nicht vollständig erfüllen kann, werde ich im Folgenden besprechen.

Direkt zu Beginn sei zumindest so viel gesagt: das Buch hat mich insgesamt gut unterhalten, es ist daher also keinesfalls schlecht oder langweilig. Zugegebenermaßen bin ich jedoch erst seit relativ kurzer Zeit im Thriller-Genre unterwegs und kann daher nur begrenzt Vergleiche mit anderen Genre-Größen anstellen.

Wer jedoch häufiger zu Thrillern greift und auch etwas härtere Kost schätzt, wird sich wahrscheinlich nach den ersten fünfzig Seiten einem anderen Buch zuwenden. Die (überschaubaren) Charaktere kommen dem erfahrenen Leser sehr schnell bekannt vor, da sie leider zu klischeehaft und teilweise unfreiwillig komisch dargestellt werden. Da hätten wir zum Beispiel Nina, die attraktive brasilianische Ärztin mit derbem Mundwerk, oder Flo, die hyperaktive Frohnatur, deren Freundschaft zu Clare schon als Obsession bezeichnet werden kann. Dass ausgerechnet Hauptfigur Nora den introvertierten, menschenscheuen Autorentypus verkörpert, ist gerade in puncto Identifikation leider nicht die klügste Wahl. Sie bleibt, wie die meisten ihrer Mitstreiter, meist sehr blass und durchläuft keine signifikante Entwicklung.

Die Handlung selbst verläuft schleppend, manchmal sogar wie in Zeitlupe. Problemlos ließen sich vierzig Seiten in einem Satz zusammenfassen, ohne relevante Ereignisse zu vernachlässigen. Diese wirken mitunter wie aus einem Thriller-Baukasten entnommen: oftmals geben sich abgenutzte Schauerereignisse die Klinke in die Hand. Trotzdem will sich der Thrill-Effekt nicht so recht einstellen, gerade in der ersten Hälfte droht „In A Dark, Dark Wood“ viele Leser zu verlieren. Ihr habt richtig gelesen: das Buch lässt sich tatsächlich akkurat in zwei Hälften trennen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und eigentlich zwei getrennte Rezensionen verdienen.

Denn wer bis zum Ende der ersten Hälfte durchhält, wird in der zweiten Hälfte mit dem Pageturner belohnt, den das Cover verspricht: die Handlung ist knackig komprimiert und Autorin Ruth Ware zieht alle Register, um endlich der Atmosphäre eines Thrillers gerecht zu werden. Die Charaktere wollen immer noch nicht so recht aus ihren Stereotypen heraus, gehen jedoch weiter, als man es noch in der ersten Hälfte erwartet hätte. Klasse in Szene gesetzt ist hier auch der Wald als Schauplatz, der für die düstere, bedrohliche Stimmung sorgt. Was es letztlich mit der Einladung zur Junggesellinnenfeier auf sich hat, wird in einem spannenden, wenn auch nicht allzu überraschenden Finale geklärt, das mich trotz aller vorherigen Klischees doch überzeugen konnte. Die Brutalität hält sich dabei sehr in Grenzen, sodass ich das Buch einem Publikum ab ca. 16 Jahren empfehlen würde.

Fazit: Dem Vergleich mit Genre-Größen hält „In A Dark, Dark Wood“ nicht stand, dafür sind einfach die Charaktere und Ereignisse zu klischeehaft. Dennoch weiß das Buch zu unterhalten: was der Handlung an Originalität und Tempo fehlt, wird gerade in der zweiten Hälfte durch Atmosphäre und Spannung wieder ausgeglichen. Wer trotz aller Warnungen einen vorsichtigen Vergleich wagen möchte, sollte am ehesten „Gone Girl“ zu Rate ziehen: ein femininer, leiser Thriller, der seine Zeit braucht, um sich zu entfalten.

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Penguin Random House (UK) bedanken, da mir das Buch im Rahmen einer Leserunde zur Verfügung gestellt wurde.