Rezension

Lügen fürs Überleben

Die Lüge -

Die Lüge
von Mikita Franko

Bewertet mit 5 Sternen

"Menschen können bemerkenswert gehaltlos sein."

Mikita wird nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter von seinem Onkel Slawa adoptiert. Die Oma ist zu alt und Mikis Mutter hat sich diese Lösung gewünscht, obwohl sie Probleme wegen der Homosexualität des Bruders kommen sah. Slawa versteckt seine Liebe zum Lebenspartner Lew geschickt. Die Beziehung und auch das Leben des Jungen werden zunächst auf den Kopf gestellt. Miki muss sich bei den Beiden einleben und Lew akzeptieren, von dem er bis dato nichts wusste. Lew muss sich auch erst an die Konkurrenz gewöhnen und einen Zugang zu dem Kind finden. Das größte Problem ist jedoch die homophobe Umgebung in Russland. Miki muss lügen, die Familienverhältnisse dürfen nicht offenbar werden, damit die Leute und vor allem das Jugendamt nicht auf den Plan kommen. Eine große Herausforderung und Belastung für ein Kind, die sich weiter durch sein Leben zieht und große Auswirkungen auf sein Seelenleben hat. 

Slawa und Lew sind fantastische Eltern, die sich wunderbar ergänzen und gut für den Jungen sorgen. Sie meistern viele Probleme und stehen letztlich immer fest zueinander und zu Miki. 

Mikis Kindheit und Jugend, seine Selbstzweifel und -findung erlebt der Leser hautnah mit. Es gibt einige dramatische Wendungen, an denen er fast scheitert und die berührend sind.

Über viele beschriebene Situationen wird ganz klar Gesellschaftskritik an Russland geübt, das wurde sehr gut eingeflochten und wirkt authentisch. Viele der Vorurteile und Probleme sind aber übertragbar. Die Schwierigkeit Dinge zu akzeptieren, die anders oder neu sind, ist kein russisches Monopol. 

Der Autor hat in diesem Buch eigene Erfahrungen mit eingearbeitet. Vieles wirkt sehr authentisch, das liegt unter anderem an der einfachen direkten Erzählweise. Da er durch Miki erzählt, passt dies gut, denn ein Kind denkt und redet eher schnörkellos. Es gibt es viele schöne Textstellen, die berührend sind und eine wahren Kern haben. So wird man immer nah an der Geschichte gehalten, möchte wissen wie es weitergeht und hofft immer für Miki, dies trifft auch  bei typischen Pubertätsproblemen zu, nicht nur bei den übermächtigen sexuellen Einstellungen und Lügengebilden. Mich hat dies Buch sehr angesprochen und ich konnte es kaum aus der Hand legen. Letztlich hat sich der Wunsch der Mutter für ihren Sohn erfüllt. Er hatte die Gelegenheit hinter gesellschaftliche Schablonen zu blicken und konnte lernen frei zu denken. Gerne hätte ich noch mehr über das Leben dieser besonderen Familie gelesen.  Ein sehr gelungenes Debüt über Konventionen und Normen, sowie den Wunsch nicht aufzufallen. 

Von mir gibt es fünf Sterne und eine Leseempfehlung.