Rezension

Märchenhafte Erzählung mit kreativen Ideen, aber einer konsequent schwachen Umsetzung.

Das Zeiträtsel - Madeleine L'Engle

Das Zeiträtsel
von Madeleine L'Engle

Der vorliegende Auftakt zur mehrteiligen Fantasy-Abenteuerreihe der US-amerikanischen Schriftstellerin Madeleine L'Engle erschien bereits 1962 unter dem Titel "Die Zeitfalte" und erwies sich als als großer Erfolg. Aufgrund deutlich christlich bezogener Aspekte gab es kurzzeitig den gescheiterten Versuch religiöser Rechte, das Buch verbieten zu lassen. Durch die 2018 erschienene Disney-Neuverfilmung unter dem Namen "Das Zeiträtsel" erscheinen die Bände im Piper-Verlag nun in Neuauflage.

 

"Komisch! Da weiß ich nicht einmal, wo ihr wohnt - und doch habe ich das herrliche Gefühl, zum ersten Mal in meinem Leben nach Hause zu kommen."

 

Bereits auf den ersten Seiten beweist die Autorin ihr Händchen, fantastische und kreative Elemente zu einer märchenhaften Erzählung zusammenzuführen. Dabei weiß sie durch einige knuffige, individuelle Ideen durchaus zu unterhalten und beweist ihren Einfallsreichtum und Spaß am Erschaffen eigener Welten. Die drei feenartigen Wesen agieren als liebenswerte Verkörperungen des Guten und bringen neben einer Portion Witz moralische Instanzen mit, auf die sich das sehr junge Zielpublikum verlassen kann.

 

Leider fallen, trotz der an sich kurzweiligen Handlung, zahlreiche erzähltechnische Mängel an, die dem Buch einen Großteil seiner Magie nehmen und hier nicht unerwähnt bleiben können. Die Figurengestaltung beispielsweise gerät in dem Roman völlig unzureichend. Meg erweist sich zunehmend als farblose, austauschbare Figur ohne jegliches Alleinstellungsmerkmal. Sie bekommt, obwohl ihr klar die Funktion der Protagonistin zugewiesen wird, kaum Beachtung, da sie ständig im Schatten ihres fünfjährigen Bruders Charles Wallace steht. Dieser beweist nicht nur aus unerklärten Gründen bereits in seinem jungen Alter mehr Intelligenz und Reife als die übrigen Figuren, sondern treibt als einziger die Geschichte tatsächlich effizient voran.

 

Alle auftauchenden Hauptcharaktere sind völlig lieb- und leblos dargestellt; ihnen fehlt es an Herz und Seele, ihnen wurde kein Leben eingehaucht. Die innere Handlung wird häufig außen vor gelassen, die Motive sind oftmals nicht nachvollziehbar und ihr Gedankenhorizont unklar erläutert. Es wirkt so, als hätte die Autorin selbst nicht mehr den Ausweg von einem ihrer zweidimensionalen Planeten gefunden. Megs Vater beispielsweise, ein berühmter und erfolgreicher Wissenschaftler, ist figurtechnisch ein totaler Reinfall, der nicht nur für die Leser*in gänzlich unnahbar, sondern auch gegenüber der eigenen Familie fremdartig, unvertraut und in Anbetracht der erreichten Forschungserfolge (und einem daher vorauszusetzenden gewissen Maß an Intelligenz und Kompetenz) gesamtheitlich dämlich und unfähig zum Treffen eigener Entscheidungen auftritt.

 

Eindeutig zu viele Informationen, die für den Roman eigentlich erforderlich gewesen wären, werden dem Lesepublikum entweder vorenthalten oder fehlen vollständig. Woher stammt Charles' übertrumpfende Intelligenz, seine geistige Reife und das Wissen über den fremden Planeten? Wieso greifen die Feen nicht früher ein, geben eindeutigere Tipps und woher stammen diese Wesen überhaupt? Je länger ich an diesem Text schreibe, desto mehr Ungereimtheiten kommen mir noch in den Sinn.

 

Ebenfalls leidet die gesamte Handlungskomposition unter immenser Unausgewogenheit. Zu lange ist der zu lösende Konflikt nicht eindeutig definiert, die Hindernisse und Gefahren, denen sich zum Sieg des Guten ausgesetzt werden muss, viel zu einfach überwindbar. Der Showdown, auf den die gesamte Geschichte hinarbeitet, wird auf wenige Seiten zusammengerafft und lieblos den Leser*innen zum Fraß vorgeworfen - ihm fehlt es an jeglicher Spannung, sodass mir der Ausgang des Buchs fast gleichgültig war. Der schwache Antagonist fügt sich in die Menge der blassgrauen restlichen Figuren ein und enttäuscht durch die fehlende Darstellung einer eigenen Ideologie und büßt somit stark an der Böshaftigkeit ein, die den Schluss interessant hätte gestalten könnten.

 

"Siehst du. [...] Du gehst von den vier bekannten Dimensionen aus, fügst die fünfte hinzu - und schon kannst du Zeit und Raum überwinden [...]."

 

Die Zeitreisen als zentraler Aspekt des Romans sind ein immer wiederkehrendes Motiv, über deren Funktionsweise ich persönlich mir gerne mehr Hintergrundwissen angeeignet hätte, das hier aber nicht geboten wird. Somit ist das vorliegende Werk trotz seiner Fähigkeit, unterhalten zu können, eine in vielen Gesichtspunkten schwach ausgearbeitete Lektüre, das leider durchgehend hinter seinem Potenzial zurückbleibt.

"Das Zeiträtsel" ist eine märchenhafte Erzählung mit kreativen Ideen, aber einer konsequent schwachen Umsetzung.

Ich vergebe daher nur zwei von fünf möglichen Sternen.