Rezension

Martin Bubers Grundschriften zur Dialogik

Das dialogische Prinzip - Martin Buber

Das dialogische Prinzip
von Martin Buber

Bewertet mit 5 Sternen

Bubers Buch "Das dialogische Prinzip" enthält die Grundgedanken seiner philosophischen Anthropologie in einigen seiner wichtigsten philosophischen Schriften: "Ich und Du" von 1923, "Zwiesprache" von 1930, "Die Frage an den Einzelnen" von 1936, "Elemente des Zwischenmenschlichen" von 1953 und ein Nachwort "Zur Geschichte des dialogischen Prinzips" von 1954. Wer beginnt, sich mit dem Denken Martin Bubers auseinanderzusetzen, sollte nicht versuchen, jeden Satz zu verstehen (eine begriffliche Bedeutung festzulegen), und sich daraus im Verlauf des Lesens Stück um Stück die Bedeutung des Ganzen zusammensetzen. Es ist vielmehr wichtig, Sätze "unverstanden" (nicht eingeordnet) stehen lassen zu können und weiterzulesen; der "Sinn" des Ganzen ist eigentlich in jeder Aussage enthalten, aber das Einzelne ist nur von diesem Sinn her verständlich. Man kann dieser Paradoxie bei Buber nicht entgehen.

Bubers grundlegender Text zum dialogischen Denken ist "Ich und Du"; zugleich ist hier die "begriffliche Unschärfe" (oder die Eigentümlichkeit, dass die Bedeutung von Worten und Sätzen aus dem Ganzen deutlich wird) am stärksten. (Das Wort "Erfahrung", das bei Buber später für die dialogische Haltung stand, ist hier noch mit der Haltung des Einordnens und Subsumierens unter Vorerwartungen, Muster und Begriffe verbunden.)

Sprachlich einfacher als "Ich und Du" und deshalb für den Einstieg zu empfehlen ist "Zwiesprache". Was "Sprache" für Buber bedeutet (auch als schweigende Zuwendung), eine Unterscheidung der dialogischen Haltung von anderen Weisen der Zuwendung zur Welt und zum anderen, die Bedeutung von Religion für Buber, von Verantwortung – dies alles wird hier dargelegt.

Es geht bei Buber um die Frage nach dem Zugang zum anderen und um das rechte Verhalten in dieser Welt, um Ethik: Beschrieben wird eine grundlegende Möglichkeit, wie ein Mensch sein kann. Verwirklicht er diese Möglichkeit, dann ist damit eine Haltung der Zuwendung zur Welt und zum anderen verbunden, in der das Ich zugleich unmittelbaren Zugang zum anderen (zum Du) hat und selbst ganz gegenwärtig ist. Durch die Gegenwart des anderen wird das Ich angeredet, auch ohne Worte.

Religiosität vereint im Sinne Bubers die Zuwendung zum anderen (Mensch, andere Lebewesen, Welt, Dinge) mit der Antwort aufs Angesprochenwerden durch Gott, das ewige Du des Menschen, ganz parallel zu seinem Verständnis des Judentums. Der Ort der Religion ist im Alltag, im alltäglichen Leben - entgegen der Annahme einer Sondersphäre religiöser Einsichten und des Glaubens.

Bubers Anthropologie ist direkt auf Praxis angelegt; daher ist es kein Wunder, dass sein Denken da besondere Bedeutung erlangt hat, wo praktisch an den Lebensmöglichkeiten und -fähigkeiten von Menschen gearbeitet wird: in der Psychotherapie. Hier ist sein Denken auch in heutigen psychotherapeutischen Ansätzen - wie der Gestalttherapie - von Bedeutung. Auch in der Erwachsenenpädagogik - etwa in der Arbeit von Dialogprozessbegleitern - spielt Bubers Denken eine große Rolle.