Rezension

Mehr als eine Reise

Die Tochter der Toskana - Karin Seemayer

Die Tochter der Toskana
von Karin Seemayer

Bewertet mit 5 Sternen

„...Es ist zwar schon hell, aber die Sonne sieht man noch nicht. Und dann fangen die Ränder der Bergkämme im Osten an zu leuchten, als wären sie aus purem Gold. Erst ist es nur ein schmaler Rand, doch er wird immer breiter und leuchtet immer heller...“

 

Wir schreiben das Jahr 1832. Die Kinder von Cerreto, einem Dorf der Toskana, warten auf die Ankunft der Hirten. Anfang Mai kehren sie von der Alm zurück. Dann wird ein Fest gefeiert. Der umschwärmte Star des Dorfes ist der Paolo, der Sohn des Müllers. Der bemüht sich plötzlich um Antonella. Als er sein wahres Gesicht zeigt, bleibt Antonella nur die Flucht. Ein leben mit Paolo könnte sonst ein lebenslanges Martyrium werden.

Auf dem Weingut Aberi d`Argento erscheint Michele. Auf den Befehl seines Vaters war er zum Militär gegangen. Nun teilt er seinen Vater mit, dass er die Armee verlassen hat und sich der Bewegung von Mazzani für ein freies Italien anschließen wird. Der Vater verweist ihn des Hofes.

Die Autorin hat einen fesselnden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Die Geschichte hat mich sofort in ihren Bann gezogen.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Antonella ist eine selbstbewusste junge Frau, die ihr Leben in die eigenen Hände nehmen will. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem Dorf aber verlangen von den jungen Frauen, dass sie das Leben weiterführen, wie es seit Jahrhunderten üblich war. Wer aus der Reihe tanzt, wird aus dem Gedächtnis gestrichen und gemieden.

Als Leser darf ich Antonella auf ihrer Reise nach Genua begleiten. Im Laufe der Handlung macht Antonella eine positive geistige Entwicklung durch. Dafür sorgen auch die tiefgehenden Gespräche mit Marco, mit dem sie reist, und der ihr eine neue Weltsicht vermittelt. Ihm hat sie zu verdanken, dass Paolo sein Ziel nicht erreicht hat. Über seine Herkunft schweigt er sich aus. Er gibt sich als Arbeiter in einem Weingut aus. Sein Verhalten gibt Antonella Rätsel auf. Sie erlebt das erste Mal, dass sie ein Mann als Gleichberechtigte behandelt und nach ihrer Meinung fragt. Vorsichtig legt er ihr seine Standpunkte zur politischen Lage in Italien dar. Auf ihre Bitte übt er mit ihr Lesen und Schreiben. Antonella erzählt ihm von ihrem bisherigen Leben. Die Menschen auf den Dörfern haben gelernt, in den strengen Winter alles zum Leben zu nutzen, was ihnen die Natur bietet. Das Hauptnahrungsmittel sind Kastanien.

Sehr detailliert werden die Strapazen und Gefahren der Reise beschrieben. Schneesturm und strömender Regen sind Naturgewalten, die für Unterbrechungen sorgen. Es gibt dabei Situationen, in denen wächst Antonella über sich hinaus.

Wie das Eingangszitat zeigt, findet die Autorin passende Metapher für eine romantische Beschreibung der Natur.

Behutsam wird die Annäherung von Antonella und Marco erzählt. Eigentlich hatte Antonella der Liebe abgeschworen. Zu groß waren ihre inneren Verletzungen. Ein Zitat aus dem Dorf beschreibt ihre damalige Einstellung gut:

„...Meine Mutter sagt immer, Liebe beginnt mit Klängen und Gesang und endet in einem Meer von Tränen...“

Für mich als Leser wird schnell deutlich, wie komplex das Netz derjenigen geknüpft ist, die für ein freies Italien kämpfen. Allerdings warten trotzdem in Genua noch Überraschungen auf mich.

Die Geschichte zeichnet sich durch einen hohen Spannungsbogen aus, denn Antonella ahnt nicht, dass Marco auf der Flucht ist und außerdem einen Geheimauftrag zu erfüllen hat.

Ein informatives Nachwort ergänzt die Geschichte.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die kurze Sage, die dem Roman vorangestellt ist.