Rezension

Mein Lesehighlight 2017

Am Ende bleiben die Zedern
von Pierre Jarawan

Bewertet mit 5 Sternen

Samirs Eltern flohen bereits vor seiner Geburt aus dem Libanon nach Deutschland. Als Samir acht Jahre alt ist, verschwindet sein Vater spurlos. Jetzt, 20 Jahre später, macht er sich mit dem geheimnisvollen Dia und den Erinnerungen im Gepäck auf, in das Land der Zedern, um das Rätsel des Verschwindens zu lösen. Die Suche führt ihn durch ein noch immer gespaltenes Land und schon bald scheint er nicht nur den Spuren des Vaters zu folgen. Vielmehr ist es, als seien die Figuren aus dessen Geschichten real geworden. 

>>Wer glaubt, er habe den Libanon verstanden, dem hat man ihn nicht richtig erklärt.<< Libanesisches Sprichwort

Der Beginn erzählt Samirs Geschichte, mit der Ankunft in Deutschland und spielt vorrangig in der Gegenwart. Pierre Jarawan nimmt den Leser mit auf eine Reise, in der die Flüchtlingsproblematik auch aus Sicht der Flüchtlinge geschildert wird. Nach einem beschwerlichen Weg, sind die Flüchtlinge in einer Turnhalle untergebracht. Diese Zustände trieben mir Tränen in die Augen und regten mich zum Nachdenken an. 
Samirs Vater übernimmt eine besondere Rolle. Er ist Geschichtenerzähler und verzaubert mit diesen nicht nur Samir, sondern alle anderen Flüchtlinge die in der Turnhalle leben. Brahim schafft dadurch eine besondere Atmosphäre, in der man als Leser die Liebe und die Leidenschaft des Protagonisten schon fast greifen kann. 

Das Verschwinden von Samirs Vater, bringt die Entwicklung des Jungen ins Wanken. Ängste, Fragen nach dem Warum, lassen Samir kein Vertrauen zu anderen Menschen aufbauen. Er findet keine Freunde und verliert seine Unbeschwertheit. 
20 Jahre später macht er sich schließlich auf in den Libanon, um seine Wurzeln und Antworten auf seine Fragen zu finden. Diese Reise verbindet der Autor immer wieder mit den zauberhaften Geschichten des Vaters. Die Menschen, denen Samir auf seiner Reise durch den Libanon begegnet, scheinen Teil der Erzählungen des Vaters zu sein. Zunehmend gewinnt Samir seine Lebenslust zurück, er wird selbstbewusster und scheint sich mit den gefundenen Antworten zufrieden zu geben. Ungeahnte, aber auch unvorhersehbare Schicksalsschläge, verleihen dem Buch eine gewisse Spannung, die das Lesen unheimlich schnell voran treibt. 

Im weiteren Verlauf verknüpft der Autor zunehmend die Perspektiven aus der Vergangenheit mit der Gegenwart, die schlussendlich ein schlüssiges Gesamtbild ergeben. 
Pierre Jarawan gelingt es, durch seinen poetischen und harmonischen Schreibstil, den Leser, komplett in Samirs Welt eintauchen zu lassen. Man spürt förmlich die Sehnsucht Samirs, nach seinen Wurzeln und fühlt sich in dessen Welt sehr lebendig. 
Die Beschreibungen des Libanon erfüllten mich ebenfalls mit einer gewissen Sehnsucht und entfachten mein Fernweh. Diese waren unglaublich bildlich und anschaulich, so dass ich dieses Land gern einmal besuchen möchte. 
Große Mühe hat der Autor mit der Aufführung, geschichtlicher Gegebenheiten des Libanons bewiesen, die er gekonnt in Samirs Schilderungen, mit einfließen lässt. 

Mein einziger Kritikpunkt betrifft das Ende des Buches. Hierbei muss ich gestehen, dass dieses, etwas konstruiert wirkte und somit das außergewöhnliche Flair, was sich durch das ganze Buch zog, etwas zu kurz kam. 

>>Alle Söhne lieben ihre Väter. Aber ich habe meinen verehrt. Weil er mich mitnahm in die Wunderwelten seiner Geschichten.<<

Dieser großartige, gefühlvolle und interessante Roman, hat mir wundervolle Lesestunden beschert. 
Pierre Jarawan hat in mir Gefühle wecken können, die ich bislang nicht ahnte. 
Es ist mein Lesehighlight 2017 und daher kann ich dieses Buch nur weiter empfehlen.