Rezension

Melancholie und Memories

The Bird Skinner - Alice Greenway

The Bird Skinner
von Alice Greenway

Bewertet mit 4 Sternen

Es gibt Romane, die verbreiten eine Atmosphäre von Beschaulichkeit.Dieser ist einer davon. Noch dazu ein Insel- und Kriegsveteranenroman. Ich mochte den leisen Stil der Autorin.

Jim Kennoway ist ein verbitterter, alter, beinamputierter Mann, der sich auf Fox Island, Penobscot Bay, verbarrikadiert hat. Trotz seiner Verbitterung und Verletzung, genießt er dort eine Art kleines Glück. Auf der Insel seiner Kindheit beobachtet er in großer Naturverbundenheit das Vergehen der Jahreszeiten, die Aufzucht
der Seeadlerjungen, genießt den ungestörten Blick aufs Meer und beschäftigt sich damit, wissenschaftlich zu belegen, dass die Insel Providence in Ozeanien die Schatzinsel Stevensens sein muss.

Diese Beschäftigung führt den Leser in die anderen Zeitschienen und in die anderen Örtlichkeiten des Romans ein, u.a. eben nach Ozeanien und dessen Inselreich. Denn dort tobte während des Zweiten Weltkriegs eine erbitterte Luftschlacht zwischen Japanern und US-Soldiern, der Tausende von Piloten zum Opfer fielen, meist wegen des ungenügenden Flugmaterials (nachzulesen in "Unbroken" von Laura Hillenbrand) und menschlicher Dummheit. Die Soldaten wurden sprichwörtlich zu Tausenden verheizt. Dennoch war der Patriotismus ungebrochen, vor allem nach Pearl Harbor. So auch bei Jim, der als Vogelpräparator der Natur besonders verbunden, bei einem späten Einsatz einen isolierten Vorposten auf Layna hält und sich die Zeit mit seinem Beruf und Hobby, dem Präparieren von Vögeln, vertreibt. Verboten, klar, aber was ist nicht alles verboten?

Diese Erinnerungen und andere hält Jim gerne unter Verschluss, mit einem Gintonic oder auch zweien und einigen Flaschen Scotch werden sie „weggegossen“, dreißig Jahre lang. Da taucht wie aus dem Nichts Cadillac auf, die Tochter eines Eingeborenen, der ihm auf der Insel Layna zur Seite gestellt war und fungiert als Trigger. Die Erinnerungen fließen einfach aus Jim heraus, er kann nichts dagegen tun und wehrt sich auch nicht mehr dagegen.

Alice Greenway hat eine bittersüße Geschichte über das Leben eines Mannes geschrieben, der viel erlebt hat und doch keinen Lebensertrag hat. Es ist eine Kriegsgeschichte voller Melancholie, Bitterkeit und Trauer. Und von später Reue. Denn keiner kommt aus dem Krieg zurück, ohne schmutzige Hände zu haben und ohne verkrüppelte Seele. 

Dennoch fällt die Kritik der Autorin am Weltkrieg und an den von den Amerikanern begangenen Gräueln verhalten aus, erläutert anhand der Aufarbeitung und Bewusstwerdung Jims am Ende seines Lebens samt seiner unharmonischen Familienverhältnisse. Diese Kritik stört nicht die leise, fast romantische Melancholie des Buches mitsamt seiner ornithologischen Naturbetrachtungen, die meines Erachtens ein großes Plus des Romans darstellen, sie führt zu keinem Aufschrei des Lesers. Fast versteht er gar die laxe Einstellung amerikanischer Obrigkeit zur eigenen Schuldhaftigkeit.

Ich mochte den eigenwilligen Stil von Alice Greenway sehr gerne, das zögerliche Erzählen, die häufigen temporalen Umbrüche, die kurzen Kapitel, ein Puzzleteil kommt langsam zum anderen. Am Ende kommt nicht jedes Detail auf den Tisch, Jims Erinnerungen bleiben bruchstückhaft, dennoch bekommt man einen tiefen Einblick in Jims Leben und Psyche.

Die Erzählzeit, die die Autorin wählt, ist irritierend. Jede Zeitschiene wird als Gegenwart präsentiert. Dadurch wird Unmittelbarkeit erreicht, aber es entsteht auch eine gewisse Hackigkeit. Dazu kommen Sätze ohne Verben, ist das modern oder einfach falsch? 

Was man der Autorin und mit ihr vielen anderen amerikanischen Autoren grundsätzlich vorwerfen könnte, ist ihre Rückwärtsgewandtheit. Schon wieder Zweiter Weltkrieg. Ist die Zeit stehen geblieben? Was ist mit Irak, Kuwait, Afghanistan, Syrien? Besteht Angst vor Gegenwartsgeschichte und zu großer Betroffenheit? Kritik am eigenen Land gibt es scheinbar immer nur aus großer zeitlicher Entfernung. Eine Ausnahme ist allerdings Atticus Lish mit „Vorbereitung auf das nächste Leben“, das sich mit illegaler Immigration und Irakheimkehrern beschäftigt und sich dadurch thematisch auszeichnet.

Fazit: Unterm Strich bleibt ein eigenwilliges, schönes Buch, ein einfühlsamer Roman voller Melancholie und Memories an ein vom Krieg gebrochenes Leben, versetzt mit lehrreichen Natursequenzen.

Kategorie: Niveauvolle Unterhaltung
Verlag: Mare Verlag, 2015