Rezension

Mit Baileys

Die kleine Souvenirverkäuferin - François Lelord

Die kleine Souvenirverkäuferin
von François Lelord

Bewertet mit 4 Sternen

„(...)mit eigenen Augen anschauen.“

Na so was? Zwischen all der Fantasy, der Science Fiction und den Mixed Genres nun so was? Dat hat die Key doch bestimmt nur gekauft, weil ‚Spiegel-Bestseller‘ draufsteht! Ätsch hat se nicht. François Lelord (mit Cedille) ist einer der Lieblingsautoren meiner kleinen suista und deswegen in meinen Händen gelandet. Und statt durch irgendeine erfundene Welt zu latschen und Helden dabei zuzusehen wie sie mit Pistolen oder Schwertern um sich schnetzeln, folge ich einem stinkelangweiligen jungen Arzt (Julien) nach Hanoi (Vietnam). Und schon nach den ersten Seiten stelle ich fest: hach, das wär’ doch mal ein schönes Setting in einem Fantasy-Roman, dort geht es immer so mittelalterlich zu! Und feix’ mir einen, weil ich echt kaum aus meinem Schubladen Denken heraus komme.

Aber auf denn nun also in die Wahlheimat des französischen Autors. Und obwohl ich es nicht vorhatte - immerhin hab ich doch schon drei englische Bücher dies Jahr gelesen, pauke ich jetzt Vokabeln. Ich weiß jetzt was ‚grün‘ auf Vietnamesisch heißt - aber das ist nicht so einfach. Darüber hinaus gibt es ganz viele accents aigu, accents grave sowie accents circonflexe, in so wunderschön klingenden Worten wie: „Attaché“. (Wie die ganzen Zeichen auf den vietnamesischen Worten heißen weiss ich nicht!) Es ist jedoch ein ziemlich vielseitiges Buch und daher finden wir nicht nur Französisch, Deutsch und Vietnamesisch, sondern weil’s so schön ist auch Englisch. Ganz davon abgesehen, dass es hier um vielmehr als eine Tourismusfalle geht. Die Worte Regime und Militär, sowie Aggressoren und Krieg ziehen einem das Herz zusammen. Merkwürdigerweise jedoch, lebt das Buch von einer schmeichelhaft sinnlich seichten Weise. Man spürt den Druck des Klimas, erkennt mit Julien zusammen den Unterschied zwischen Vaterland und Vaterwasser, lernt die einzelnen ausländischen Mitarbeiter der Botschaft kennen und taucht ein in ein, ich möchte mal sagen, harmonisches Leben weit jenseits unserer Grenzen.
 

„Aber das ist nicht so einfach.“

Die im Klappentext erwähnte Epidemie hat sich angekündigt, Julien, Clea und andere Ärzte versuchen zu helfen.
Dabei ist Clea, die angepriesene perfekte Frau für Julien, eine hervorragende Heldin, die es versteht mit Charme und Einschüchterung selbst Parteitreue und Polizisten zu becircen. Nur bei Julien klappt das nicht. Julien versucht nach dem Vorbild seines Vaters, einem Richter zu handeln: unnachgiebig gegenüber den Starken und mild sein zu den Schwachen. Und das Mädchen mit dem zu schweren Koffer aus einer Provinz, ihr scheint sein Herz zuzufliegen. Das schöne dabei ist, er merkt das nicht einmal selbst, sein Interesse ist eher schüchtern und verhalten. Julien ist ein angenehmer Protagonist mit einem großen Raum voller Gefühle. ‚Herbstlicht‘ hingegen ist einfach nur eins: reizend.

Ich weiß nicht was es ist, aber die Zeilen tragen sich von selbst, wie eine angenehme Musik, der man gern folgt, „zart und klug“ wie auf dem Buchumschlag versprochen, unglaublich beruhigende Atmosphäre, wunderschöne Sinneseindrücke, Erfahrungsbericht einer anderen Kultur mit herrlichen Anekdoten, die einem geradezu romantisch naiv vorkommen:
„Großer Bruder ist Arzt.“
„Kleine Schwester weiß.“
„Dann wissen es also alle?“
„Das ist hier so.“ (S.48)
Das ist hier so. Es ist nicht einfach. Ein Seufzen liegt mir auf der Zunge, eine fast schon zartbittere Melodie des Lebens unter schwierigen Umständen. Die zeitliche Einordnung ist mir noch nicht ganz klar: nach französischer Kolonialherrschaft und nach den Amerikanern, jedoch sprechen die Charaktere von Saigon (bis 1975) statt Ho-Chi-Minh. ((2004))

 

„Buy for me.“

Um aber dieses Land zu verstehen muss man wohl das: Kim Vân Kiêu lesen, welches immer wieder erwähnt wird; ebenso wie die Tatsache, dass Julien seine Kollegin Clea bewundernswert findet, dies aber nicht das ist was sie hören will von ihm; oder wie hübsch die Pagode inmitten des Sees ist. Unter anderem um dieses erwähnte Buch geht es nämlich in dieser Geschichte in einem Land far far away. Julien liest es und stellt zum Schluß Vergleiche zu seinem eigenen Leben an. Hervorragend und kein Stück ‚zufällig‘ daher kommende Nebencharaktere inszenieren den Aufenthalt des Arztes mit allen Unbilden, doch auch allen schönen Seiten Vietnams. Es ist ziemlich tiefgründig und wirkt ehrlich, selbst wenn die Charaktere allesamt erfunden sind und dann obendrauf auch noch selbst ständig in Rollen spielen die ihnen in dieser Kultur vorgegeben sind. Und, was das allerschönste ist, es hat kein Happy End, eine zarte Hoffnung schon, aber vor allem fühlt es sich tragisch an - wie das Leben, zumeist schwer und unerfüllt melancholisch. Selbst für einen SurferBoy aus den Staaten oder den Hotelier des ‚Métropole‘. Ein erträglicheres Schicksal scheinen hier das Großmütterchen von Gegenüber und der Klinikprofessor zu erleben.
Dieses Gefühl, wenn das Glück am Horizont wartet, dieser aber immer weiter zurück weicht, wenn man auf ihn zugeht.
 

Fazit:

Das ist … kann man das so sagen? süß. Dieses Buch ist bezaubernd süß wie FairTrade Schokolade.
Eine Menge Anreize zum Nachdenken, glaubhaft geschildert. Von den Protagonisten gewertet und kritisierte Systeme, wobei nicht nur dieses ferne Land dran glauben muss, sondern auch die ‚Weststaaten‘: diese tay und Bürokratie im Allgemeinen, sowie Armut, Überbevölkerung, fehlende Schulbildung, fehlende medizinische Mittel, Glaube und Aberglaube und was nicht noch alles … aber da steht Vietnam sicher nicht alleine da.
Man spürt deutlich die Faszination die dieses Land auf den Autor ausgeübt und ihn inspiriert hat. Und das ist gut so, denn so kann ich mich in Ruhe zurück lehnen und dabei zu sehen, ohne selbst hinzu fliegen - denn so weite Urlaube habe ich nicht geplant momentan.

Mal was ganz anderes für mich, locker an einem Abend erledigt und das Gefühl gehabt, ganz weit weg gewesen zu sein. Gutes Buch!

Zum Urteil wird ein Baileys getrunken.