Rezension

Mord ohne Aussicht?

Frauen, die Bärbel heißen - Marie Reiners

Frauen, die Bärbel heißen
von Marie Reiners

Bewertet mit 5 Sternen

Mord ohne Aussicht?

“Frauen, die Bärbel heißen” ist das Roman-Debüt von Marie Reiners  die sich bis dato eher als Drehbuchautorin einen Namen gemacht hatte. Ihrer Vorstellung entspringt zum Beispiel die  Fernsehserie “Mord mit Aussicht”, eine Krimi-Komödie mit wunderbar schrägem Humor – die ich übrigens nur empfehlen kann, einfach herrlich.

So sprang mir dieses Buch überhaupt erst ins Auge: wegen des Aufklebers, der es als Werk der Erfinderin der Serie anpries. Über das Cover hätte ich sonst womöglich einfach hinweg gesehen,  denn ich hätte es eher dem Genre Humor zugeordnet.

Was mich direkt zur Frage bringt: Ja, zu welchem Genre gehört das Buch denn sonst?!

‘Humor’ ist sicher nicht so ganz falsch, denn die Geschichte ist oft zum Schreien komisch – dabei aber böse, bitterböse. Das ist weder “Wollen mer se reinlasse?” noch Quatsch Comedy Club, sondern die Geschichte einer Soziopathin, die ein Mordopfer findet und dadurch in eine abstruse Geschichte verstrickt wird.  Also auch irgendwie eine Krimi-Komödie, aber viel abgründiger als “Mord mit Aussicht”.

Und trotzdem ist es auch die Geschichte einer Außenseiterin, die im Alter von 54 erstmals sowas wie Freundschaft kennenlernt, wohlgemerkt erst nach dem Austausch von Gewalt.  Bärbel denkt in etwa mit so viel Emotion darüber nach, vielleicht jemanden umbringen zu müssen, wie ich darüber nachdenke, dass ich noch den Müll rausbringen muss.

Originalität / Einfallsreichtum

Wie gesagt, die Geschichte ist abstrus, aber herrlich und einfallsreich und immer wieder überraschend. Und obwohl das alles total überzogen ist, ist es nicht gänzlich unglaubwürdig. Da hat man irgendwie immer im Hinterkopf, dass das Leben die merkwürdigsten Geschichte schreibt, und das hier könnte doch eine davon sein. Vielleicht. Oder nicht?

Spannungsbogen

Die Spannung liegt in meinen Augen nicht mal so sehr darin, wer denn nun den Mann umgebracht hat, in dessem Auge das perfekte Wurfstöckchen steckte, dass Bärbel doch so gerne für ihre Hündin Frieda geschmissen hätte. (Konnte sich der Mörder nicht ein anderes Stöckchen suchen?) Viel spannender ist, wie das alles Bärbels Leben durcheinander bringt und was sie dabei über sich selber lernt.

Dabei bietet ihr Leben im Grunde ohnehin Stoff für direkt mehrere Bücher, denn sie hat mit 14 schon den Selbstmord ihrer Eltern vertuscht, um in Ruhe alleine leben zu können.

Logik / Schlüssigkeit

Allzu genau sollte man das mit der Logik vielleicht nicht immer nehmen. Obwohl, wie schon gesagt, das Leben… Das ist so ein Buch,  auf das man sich einfach einlassen muss, auch wenn es manchmal bedeutet, den eigenen Unglauben ein bisschen auszubremsen.

Charaktere

Bärbel ist eine Nummer für sich.

In meinen Augen ist sie zweifelsohne eine Soziopathin, aber keine von der mörderischen Variante. Wobei das nicht heißen soll, dass sie davor zurückschrecken würde, jemanden zu töten! Nur, dass sie dazu normalerweise keine Veranlassung sieht, weil andere Menschen sie schlicht und einfach nicht interessieren.

Sie wäre schon glücklich und zufrieden, wenn die Außenwelt sie einfach in Ruhe lassen würde. Sie will mit ihrem Hund spazieren gehen, ihrer eigenwilligen Diät frönen (sie isst ausschließlich Fleisch), tote Tiere präparieren und Shopping-Sender im Fernsehen anschauen, wo Produkte angepriesen werden, die sie niemals benutzen wird.

Die anderen Charaktere werden natürlich durch ihre Augen gesehen, wodurch man einen sehr verzerrten Eindruck von ihnen bekommt. Denn Bärbel ist sich nicht bewusst, dass ihre Sicht der Welt eine andere ist als die anderer Menschen…

Schreibstil

Der Schreibstil ist grandios, denn die Autorin schafft es, aus Sicht einer Protagonistin zu schreiben, deren Verhalten oft grotesk, gefühlskalt und geradezu grausam wirkt, und dennoch ist man bereit, ihr zuzuhören. Mir ging es schnell so, dass ich richtig mit Bärbel mitfühlte, obwohl sie doch selber nur wenige Gefühle zulässt.

Humor

Ich vermute, dass der Humor etwas ist, das man entweder liebt oder womit man gar nichts anfangen kann. Ich fand ihn großartig. Aber wer noch unschlüssig ist, braucht nur in die Leseprobe hineinzulesen, denn man merkt sehr schnell, wie es um den Humor bestellt ist.

FAZIT

Die Erfinderin der Fernsehserie “Mord mit Aussicht” schreibt einen Roman über eine Soziopathin, die nicht nur eine Leiche, sondern auch so etwas wie Freundschaft findet. Das ist böse und schräg, die Charaktere sind alles andere als Sympathieträger, und trotzdem macht das Buch einfach unheimlich viel Spaß. Jedenfalls, wenn man schwarzem Humor nicht abgeneigt ist!

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:
https://wordpress.mikkaliest.de/2018/10/24/rezension-marie-reiners-fraue...