Rezension

Must-Read: Ein Augenöffner über so vieles, das in unserer Welt schief läuft!

Man nannte ihn El Niño de Hollywood - Oscar Martinez, Juan José Martinez

Man nannte ihn El Niño de Hollywood
von Oscar Martinez Juan José Martinez

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mitreißender Journalismus, der nicht nur auf El Salvador angewendet werden kann

Man nannte ihn El Nino de Hollywood – Leben und Sterben eines Killers der Mara Salvatrucha

 

Oscar Martínez und Juan José Martínez wagen einen Blick hinter die Kulissen des tödlichsten Landes der Welt. Sie untersuchen die historischen Hintergründe der Bandenbildung in El Salvadore, wer die jungen Menschen sind, die sich der Bestie anschließen und lernen dabei El Nino de Hollywood kennen. Miguel Tobar war einst einer der gefürchtesten Killer der Mara Salvatrucha, doch jetzt ist er ihr Feind. Seine Geschichte wird Wegweiser durch eine Welt voller Intrigen, Ungerechtigkeiten und Mord sein.

 

Mir fällt es zugegeben schwer eine ordentliche Rezension zu diesem Buch zu schreiben, denn ich bin zwiegespalten. Einerseits ist da dieser ungefilterte Journalismus, der jede erdenkliche Seite abdeckt und darstellt ohne wertend zu werden, andererseits sehe ich mich auch in der Pflicht die Struktur und meinen subjektiven Eindruck als Rezipient einfließen zu lassen.

Auf welchem Weg und wie intensiv beide Journalisten an dieses Thema herangehen ist wirklich beeindruckend. Es ist kaum vorstellbar wie viel Zeit in die Recherche geflossen ist und welchen Gefahren sie sich ausgesetzt haben. Jede Person, die vorkommt, wird, obwohl sie manchmal nur zum Verständnis bestimmter Beziehungen benötigt wird, dennoch auf ihre ganze eigene Weise charakterisiert. Manchmal erfahren wir ihre Lebensgeschichte, manchmal nur ihre Körperhaltung und wie sie in einen Raum hineinschauen.

Die Autoren schaffen es wirklich eine Art Vertrauensverhältnis zwischen Leser und Zeugen aufzubauen. Denn sie führen nicht nur auf, was xy gesagt hat, sondern wie sie es gesagt haben. Wie die Person gestikuliert, wie ihr Blick durch den Raum wandert und wie der Raum aussieht, wie das Licht fällt, wie es riecht. Keine Sorge, sie verstricken sich hierbei nicht in unendlich langen Beschreibungen, sondern schaffen es pointiert und gewollt genau die Atmosphäre zu erschaffen, die sie brauchen.

Sie zitieren Zeugen, die keinen Namen haben – denn sie haben Angst, was geschieht, wenn die Mara Salvatrucha 13 herausfindet, dass sie gesprochen haben -, die sich in völliger Anonymität verbergen ein Gesicht zu geben, das, obwohl es nie gezeigt wird, Konsistenz hat.

Wir erfahren nicht nur Miguel Tobars Geschichte, sondern auch alles außenherum. Wir lernen nicht nur ihn, sondern jede Person, die irgendwie irgendwo in dieses Konstrukt geraten ist auf die ein oder andere Weise kennen. Dabei werden sie aber nicht poetisch oder reißerisch, es bleibt eine Reportage und der journalistische Mindestabstand wird gehalten, um ausreichend zu differenzieren ohne zu werten.

Was sie uns erzählen, ist teilweise so grausam, dass mir schlecht wurde. Wenn Miguel Tobar auf seinem Stuhl sitzt und erzählt, wie er gemordet und gefoltert hat, dann will man gar nicht glauben, dass genau das die Realität eines Landes in unserer modernen Welt ist. Dieses Buch ist ein Augenöffner und kann nicht nur auf die Vorkommnisse in El Salvador bezogen werden. Heruntergebrochen stellt es dar, was passiert wenn man Menschen alleine und ohne Führung zurücklässt. Wie Menschen aufgrund der Gier und Ausgrenzung einiger Mächtiger in einem grausamen System ohne Perspektive untergehen.

Obwohl mich dieses Buch mitgerissen hat, muss ich in einem Punkt Abstriche machen, obwohl ich das eigentlich gar nicht will. Denn für jemanden, der sich nicht mit der Thematik auskennt, kommen unfassbar viele Namen vor. Das zählt zum Einen für Gangnamen, zum Anderen für die Namen einzelner Personen. Orte und Jahre werden teilweise durcheinander gewürfelt und folgt einer recht merkwürdig gewählten Erzählstruktur. Wenn wir uns gerade noch in der Vergangenheit befunden haben, dann befinden wir uns jetzt in der erzählten Gegenwart, dann in der „Zukunft“. Deshalb war es teilweise schwierig dem Buch zu folgen und ich musste mehrere Male zurück blättern, um nachzulesen, von was die Autoren gerade berichten.

 

Insgesamt kann ich eine klare Leseempfehlung aussprechen. JA, lest dieses Buch, es wird euch in vielerlei Hinsicht weiterbilden. Aber ihr müsst aufmerksam bleiben und dürft euch nicht verunsichern lassen, wenn plötzlich von Dingen erzählt wird, die die Erzählstruktur durchbrechen.