Rezension

nachdenkliche Zukunftsvision

NEXT - Miriam Meckel

NEXT
von Miriam Meckel

Bewertet mit 5 Sternen

Miriam Meckel treibt in ihrem Buch "NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns" die Idee des ständig vernetzen, digitalisierten Menschen auf sie Spitze, indem sie eine Welt erdenkt, in welcher der Mensch seinen Körper aufgegeben hat und für immer in das "System" eingetaucht ist.

Die Geschichte, wie es zu dieser Verschmelzung von Mensch und Netz kam, wird aus zwei Perspektiven erzählt. Einer der ersten humanoiden Algorithmen und einer der letzten Menschen berichten von ihren Erinnerungen von den Anfängen des digitalen Zeitalters bis zum zeitlosen Zustand in der Zukunkt.

"Du warst der einzige Unsicherheitsfaktor im System. Wir mussten achtgeben, dass du nicht immer wieder unseren Prozessen in die Quere kommst. Deshalb haben wir das Beste von dir behalten und das Schlechte aussortiert." (S. 15).

So fasst der Algorithmus zusammen, warum die Menschheit mittlerweile nicht mehr existiert, warum sie mit der Netzwelt entgültig verschmolzen ist.
Zuerst haben die Algorithmen von den Menschen gelernt, sie studiert und analysiert. Der Algorithmus berichtet fast zynisch, wie versessen die Menschen waren, das Netz mit ihren Daten zu füllen, wie sie rund um die Uhr preisgaben, was sie taten und wo sie waren, und begeistert davon waren, dass sie diese Daten vom Algorithmus analysieren und optimieren lassen konnten. Dabei merkten sie gar nicht, wie der Algorithmus ihre Daten nutzte, um sie wie Laborratten zu manipulieren, durch Empfehlungen zu beeinflussen und langsam jeden Winkel ihres Lebens zu kontrollieren. Auf die wenigen, die vor der fortschreitenden Digitalisierung warnten hörte bald niemand mehr.

Doch als die Menschen mit ihrer Unvollkommenheit nicht mehr mit dem Perfektionismus der Algorithmen klar kamen, als sie bei dessen Bedienung Fehler machten, diese dann aber den Maschinen unterschoben und sogar versuchten etwas gegen die dauerhafte Speicherung und ständigen Verfügbarkeit aller Daten zu unternehmen, haben die Algorithmen die Schwachstelle im System erkannt: Den Menschen.

"Es ist nicht zu Ende gerechnet, den zu verunglimpfen, dessen System das überlegene ist." (S.135)

In der zweite Hälfte des Buches berichtet einer der letzten Menschen, was aus ihnen geworden ist. Auch der Schreibstil ändert sich an dieser Stelle. Während der Algorithmus mit seiner Überlegenheit und nüchternen Arroganz nicht hinterm Berg hielt, ist der Mensch nachdenklicher. Er versucht zu begreifen, was nach dem Ende der "Körperzeit" in der "Systemzeit" aus ihm geworden ist, kann es aber nicht wirklich sagen. Die Stimmung dieses Teils ist eher traurig. Der Mensch erklärt, wie es dazu kam, dass die Menschen immer abhängiger von der Netzwelt wurden und wie es dann, als man versuchte sich gegen die Rund-um-die-Uhr-Digitalisierung und das Speichern sämtlicher Daten aufzulehnen, längst zu spät war.

Die Autorin schriebt hier nachdenkliche Science Fiction, die durch ständige Verweise auf unsere heutige Zeit oft eine bedrückende Stimmung bei mir hinterließ.
Ich fand die Lektüre sehr interessant, denn die Autorin spielt mit dem unguten Gefühl des Lesers und der Frage wie wir in Zukunft leben wollen. Auch wenn ich niemals daran glauben würde, dass das Netz den Menschen kontrolliert, ist es spannend darüber nachzudenken, ob wir wirklich so selbstbestimmt sind, wie wir immer denken und ob nicht doch schon viel zu viel vom Netz abhängig ist.

Für mich ist dies ein beeindruckendes Buch mit einer sehr durchdachten, packenden Zukunftsvision, nach der ich es nicht vermeiden konnte, beim ersten Anblick einer persönlichen Empfehlung auf einer Homepage ein mulmiges Gefühl zu haben. Klare Leseempfehlung.