Rezension

Nervenaufreibender Thriller mit effektvollen Schauerelementen

Der Tod der Mrs Westaway - Ruth Ware

Der Tod der Mrs Westaway
von Ruth Ware

Bewertet mit 5 Sternen

Tödliches Erbe

Seit ihrem allerersten Roman bin ich ein großer Fan der britischen Thrillerautorin Ruth Ware, denn ihre Geschichten sind nicht nur qualitätsmäßig auf hohem Niveau, sondern generieren auch Hochspannung bis in die Haarspitzen. Und daher habe ich es auch noch nie geschafft, eines ihrer Werke in mehreren Etappen zu lesen - es musste immer eine komplette Lesenacht sein. Gleiches trifft ebenfalls wieder auf ihren neuesten Pageturner, Der Tod der Mrs. Westaway, zu, mit dem sie sich meines Erachtens selbst übertroffen hat, denn sie tritt hier sehr erfolgreich in die großen Fußstapfen der renommierten Schriftstellerin Daphne du Maurier, die mit ihrem Meisterwerk Rebecca Weltruhm erlangte. Wie schon du Maurier, vereint Ware in ihrem aktuellen Spannungsdrama äußerst gekonnt Elemente des Schauer- und psychologischen Romans. Ein Herrenhaus à la Manderley und eine angsteinflößende Haushälterin im Stil von Mrs. Danvers machen das Déjà Vu komplett.

Doch das ist auch schon alles, was die beiden Romane gemeinsam haben. Wares Story hat eine komplett andere Dimension, ihre Protagonisten sind ambivalent, und sie arbeitet mit unterschiedlichen Spannungsebenen, was den besonderen Reiz des Ganzen ausmacht. Hinzu kommt ihr zweisträngiger Erzählstil, wobei in Strang 1 die Vergangenheit in Tagebuchform präsentiert wird, während Strang 2 in der Gegenwart des Romans spielt. Am meisten beeindruckt jedoch die junge Hauptfigur, die die Autorin so tiefgehend menschlich und lebensecht erdacht hat und deren große Verzweiflung, aber gleichermaßen auch unzerstörbaren Überlebenswillen sie deutlich spürbar macht. Fieberhaft folgen wir als Leser ihren Nachforschungen, begleiten sie bei ihrer unermüdlichen Suche nach der Wahrheit - immer mit dem unheimlichen, beklemmenden Gefühl, dass jeden Moment etwas Schreckliches passieren kann. Atempausen gönnt uns Ware nur selten - und das ist auch gut so, denn es ist gerade dieser Aspekt, der die Brillanz ihres Thrillers ausmacht.

Eine folgenschwere Verwechslung

Als die 22-jährige Harriet "Hal" Westaway ein Schreiben von einem Anwalt in Cornwall erhält, das besagt, dass ihre Großmutter Hester verstorben und sie eine der Erben ist, könnte der Zeitpunkt nicht besser sein. Nach dem tragischen Tod ihrer Mutter, die von einem Auto überfahren wurde, schlägt sich Hal mehr schlecht als recht durchs Leben. In ihrer kleine Bude auf dem Pier in Brighton, die sie von ihrer Mutter übernommen hat, hält sie sich mit Tarot-Kartenlegen über Wasser, obwohl sie es für ausgemachten Humbug hält. Ihr schäbiges Mini-Apartment ist ihr einziger Zufluchtsort, doch auch dort ist sie nicht mehr sicher, denn der Kredithai, bei dem sie Schulden hat, ist ihr auf den Fersen und schreckt auch vor Gewalt nicht zurück. Somit kommt die Einladung nach Cornwall wie gerufen, wenn es da nicht ein größeres Problem gäbe: Ihre Oma ist schon seit 20 Jahren tot und hieß auch nicht Hester...

Ein dunkler Ort

Hal ist klar, dass es nur eine Verwechslung sein kann. Sie hadert zwar mit sich, doch sie geht das Risiko ein: Völlig abgebrannt macht sie sich auf den Weg nach Trepassen House, das sich als großes, aber heruntergekommenes Herrenhaus und ehemals feudaler Landsitz der Westaways entpuppt. Die Familie, die keine Ahnung von Hals Existenz hatte, ist mehr als überrascht, versucht aber, sich nichts anmerken zu lassen. Nachdem Hal die Westaways bereits gegoogelt hatte, um besser vorbereitet zu sein, lernt sie nun alle Familienmitglieder persönlich kennen: Harding Westaway, seine Gattin Mitzi und deren Kinder Kitty und Freddie, Abel Westaway und seinen Partner Edward und Ezra Westaway. Maud, die einzige Tochter und ihre angebliche Mutter, gilt als spurlos verschwunden.

Ein schreckliches Geheimnis

Hal kann alle Eindrücke gar nicht so schnell verarbeiten, wie sie auf sie einprasseln. Sie beginnt weiter nachzuforschen, und es scheint tatsächlich eine Verbindung zwischen ihr und den Westaways zu geben. Insbesondere die alte, furchteinflößende Haushälterin Mrs. Warren steht ihr feindselig gegenüber und gibt ihr mehr als einmal deutlich zu verstehen, dass es besser für sie wäre, wenn sie verschwindet.  Als das Testament schließlich verlesen wird und Hal daraus als Alleinerbin hervorgeht, sind alle außer sich, insbesondere Harding macht aus seinem Ärger keinen Hehl. Hal kann es nicht fassen und hat ein denkbar schlechtes Gewissen, weil sie sich als Betrügerin fühlt. Und so spielt sie ernsthaft mit dem Gedanken, allen die Wahrheit zu sagen. Doch dann stößt sie auf ein schreckliches Geheimnis, dass den Unfalltod ihrer Mutter in einem anderen Licht erscheinen lässt und sie auf die Spur eines kaltblütigen Killers führt, der lange im Verborgenen ein ganz normales Leben führte und nun bereit ist, ein weiteres Mal über Leichen zu gehen, damit es auch so bleibt...

Nervenaufreibender Thriller mit effektvollen Schauerelementen

Was für ein hochspannendes Thriller-Highlight! Nach Woman in Cabin 10 und Im dunklen, dunklen Wald ist Ruth Ware mit ihrem neuesten Werk Der Tod der Mrs. Westaway wieder ein brillanter Pageturner gelungen, der bis zum fulminanten Ende in Atem hält. Besonders gefallen haben mir die effektvollen Schauerelemente à la Daphne du Maurier, die die Autorin gekonnt in die moderne Zeit transferiert hat. Neben der fesselnden Story sind ihr auch die vielschichtigen Hauptfiguren, allen voran die junge Hal, wieder sehr gut gelungen. Ware versteht es meisterhaft, die Leser in die Irre zu führen, das wechselhafte Zusammenspiel der Protagonisten ad extremum zu führen und am Ende eine Lösung zu präsentieren, die nicht vorhersehbar ist und uns geschockt zurücklässt. Daher mein Fazit: Ruth Ware ist Großbritanniens neue Queen of Crime. Jeder Roman von ihr ist eine unbedingte Leseempfehlung!