Rezension

Nicht gerade mit Ruhm bekleckert

Ruhm - Daniel Kehlmann

Ruhm
von Daniel Kehlmann

Bewertet mit 1.5 Sternen

Darum gehts:

Ein Schriftsteller mit der unheilvollen Neigung, Menschen, die ihm nahestehen, zu Literatur zu machen, ein verwirrter Internetblogger, ein Abteilungsleiter mit Doppelleben, ein berühmter Schauspieler, der lieber unbekannt wäre, eine alte Dame auf der Reise in den Tod: Ihre Wege kreuzen sich in einem Geflecht von Episoden zwischen Wirklichkeit und Schein. Ein Spiegelkabinett voll unvorhersehbarer Wendungen– komisch, tiefgründig und elegant erzählt vom Autor der "Vermessung der Welt".

Mein Eindruck:

Es ist wirklich schwer, meine Eindrücke über dieses Buch in Worte zu fassen. Einige der Geschichten waren realistisch, mitreißend und voller Leben, andere spannend, aber unglaubwürdig und zwei der Geschichten waren sowas von konstruiert, gewollt und seltsam, dass ich das Buch am liebsten weggelegt und nie wieder geöffnet hätte. Die Qualität der einzelnen Kapitel schwankt so stark, dass man teilweise gar nicht glauben kann, dass sie alle vom gleichen Autor stammen. Das einzig gemeinsame sind die Cliffhanger, die immer dann das Ende einer Geschichte abschneiden, wenn diese gerade spannend wird. Wie es ausgeht, erfährt man fast nie.
Das Buch beginnt mit der Geschichte von Herrn Ebling, der sich nach jahrelangem Zögern endlich ein Handy anschafft, nur um festzustellen, dass die Nummer doppelt vergeben ist und ständig Leute anrufen, die den Schauspieler Ralf Tanner sprechen wollen. Keiner glaubt Herrn Ebling, dass er nicht Ralf ist, und nach einigen gescheiterten Versuchen gibt er auf, immer wieder die Situation zu erklären und fängt stattdessen an, einfach mitzuspielen. Er sagt Dates zu und ab, cancelt Termine und beendet Beziehungen von Leuten, die er nie zu Gesicht bekommt. Den echten Ralf Tanner bringt das, wie man in einem anderen Kapitel erfährt, fast um den Verstand. Diese erste Geschichte ist meiner Meinung nach die beste, danach geht es abwärts.
Alle 9 Geschichten sind untereinander verknüpft durch ein oder mehrere Personen, die sich kennen. (Die Idee kennt man schon aus dem Film 8 Blickwinkel) Zwei der Geschichten sind, wie man beim Lesen erst erfährt, von einem der Protagonisten, dem Autor Leo Richter, erfunden, der gerne Dinge, die er erlebt und Menschen, die er kennen gelernt hat, in seine Romane mit einbaut. Diese Eigenschaft macht ihn nicht unbedingt beliebt bei seinen Mitmenschen, und sogar seine Romanfiguren beschweren sich bei ihm, was er ihnen antue - so zum Beispiel Rosalie, die nette alte Dame mit dem Bauchspeicheldrüsenkrebs, die in die Schweiz fährt, um Sterbehilfe zu erhalten.
Zwei der Geschichten sind mir besonders negativ aufgefallen. Zum einen die Geschichte "Osten", in der die Krimiautorin Maria Rubinstein in einem asiatischen Land nach einer Konferenz vergessen und dann von Polizisten ausgeraubt wird, bevor sie sich, ohne ein einziges Wort der Sprache zu können, an eine ältere Frau auf dem Markt wendet. Diese gibt ihr Almosen und nimmt sie mit auf ihren Bauernhof. Maria gibt schnell jede Hoffnung auf Rettung auf und bleibt vermutlich auf dem Hof, denn danach hat sie niemand mehr zu Gesicht bekommen. Es ist schlicht unrealistisch, dass jemand am Ende der Welt sich einfach so damit abfindet, für immer dort zu bleiben und nichts versucht, um nach Hause zu kommen. Weder ihre Familie und noch irgendjemand ihrer Verwandten versuchen, sie zu finden. Ja, klar.
Absolut lächerlich dagegen war die Geschichte des übergewichtigen Muttersöhnchens Mollwitz, der seine Arbeitstage in Internetforen verbringt und dort der Welt sein Leben mitteilt. Hier hat Kehlmann krampfhaft versucht, zu vermischen, was er für heutige Jugendsprache und Internetslang hält und das sich dann folgendermaßen ausartet: 
"Manchmal springt er auf, geht um meinen Desk und will mir auf den Screen glancen [...] Ich schwörs euch, wär der nicht dauernd Fitneß-Studio, in dem Moment hätt er richtig Fresse gekriegt. Ernst übel ist auch unser Boss. Ganz unkalt und heftig schlimm, aber nicht auf die kleine Art."

Soll das die hohe Erzählkunst der deutschen Nachkriegsliteratur sein? Da möchte man doch weinen. Insgesamt wirkt Ruhm ziemlich gewollt und lieblos zusammengeklatscht. Alle Geschichten enden eigentlich da, wo sie erst richtig losgehen sollten, was auf die Dauer wirklich nervt.

Einzig die Geschichte der alten Frau Rosalie geht einem ein wenig zu Herzen, die meisten anderen Geschichten jedoch wirken substanzlos und ziehen beim Lesen an einem vorbei, da rein - da raus. Zurück bleibt nur die Empörung über die grauenhafte angebliche Internetsprache des dicken Mollwitz und über das Lob der deutschen Literaturkritiker. Ein bekannter Name macht eben nicht automatisch ein gutes Buch.

Ruhm bekommt daher nur 2 von 5 Sternen - einen für eine gute Grundidee, die aber leider nicht ganz durchgeführt wurde, und einen für die beiden Geschichten von Herrn Ebling und von Rosalie.