Rezension

Nicht nur ein Stück Familiengeschichte

Glut im Eis -

Glut im Eis
von Inge Ruth Marcus

Bewertet mit 5 Sternen

„...Josef war von mittlerer Größe, schlank, zart in der Erscheinung, von sportlicher Statur...“

 

So wird der Protagonist der Geschichte gleich am Anfang beschrieben. Den jungen Mann zieht es in die Ferne. Er hat Außenhandelskaufmann gelernt. Im Jahre 1898 sollte für den damals 22jährigen das Abenteuer seines Lebens beginnen.

Die Autorin hat einen spannenden Roman geschrieben, der die Geschichte ihrer Vorfahren aufarbeitet.

Der Schriftstil ist sehr detailliert, häufig sachlich, ab und zu mit feinem Humor gespickt und in manchen Beziehungen ungewöhnlich. Das gilt vor allem für die Wiedergabe der Gespräche, die im Buch einen breiten Raum einnehmen. Sie kommen ohne Anführungszeichen aus und sind gestaltet wie Aufzählungen. Das Buch zeugt von einer umfangreichen Recherche der eigenen Familiengeschichte, aber auch historischer Dokumente.

1898 bekommt Josef das Angebot, in einer deutschen Firma in Wladiwostok zu arbeiten. Bei seiner Ankunft in der Stadt wird ihm klargemacht:

 

„...Vergessen Sie ab sofort die Hamburger Verhältnisse. Die Menschen hier kennen doch nichts anderes als lange Wege, langes Warten und Langeweile...“

 

Eingebunden in die Handlung wird die Geschichte der Stadt und die Besiedlung der Gegend. Josef kann zeigen, was er kann. Ein positives Arbeitsklima und gemeinsame Ziele sorgen für ein schnelles Einleben. Seine Fremdsprachenkenntnisse sind von Vorteil. Deutsche sind gern gesehen in der Stadt. Das hat mehrere Gründe. Einer wird im folgenden Zitat genannt:

 

„...Wir Deutschen hatten einen Vorteil: Wir kannten uns mit Bürokratie aus und waren daher schnell bei der Sache...“

 

Natürlich hat das Leben in der Fremde auch seine Schattenseiten. Recht und Gesetz sind diffizil. Das erfordert, sich darauf einzustellen.

 

„...Was am Abend nicht verstaut, ist am Morgen schon geklaut…“

 

Immer wieder werden politische Ereignisse thematisiert, sei es der Boxeraufstand oder der mögliche Angriff der Japaner auf Wladiwostok. Außerdem lerne ich indigen Völker der Gegend und ihre Sitten kennen.

Die Firma wächst und blüht auf. Bei seinem Besuch in Deutschland allerdings muss Josef erfahren, dass seine kritische Haltung gegenüber dem Regime des Zaren nicht erwünscht ist. Vor Ort sieht eben manches anders aus als in der Ferne.

Mit dem Ersten Weltkrieg ändert sich die Lage radikal. Josef wird verhaftet und in einem Lager in Sibirien interniert. Es liegt im Gebiet der Burjaten. Da Josef ein sehr aktiver und geselliger Mann ist, bringt er sich im Dorf ein. Seine Kenntnis der russischen Sprache lässt ihn schnell Kontakt finden. Dort lernt er seine Frau Tanja kennen.

Nach der Oktoberrevolution wird es gefährlich. Sibirien fällt in die Hand der Kosaken, der Weißen und der Roten. Es ist jedes Mal ein Glücksspiel, deren Invasion zu überstehen. Findigkeit, familiärer Zusammenhalt und Überlebenswille sind gefragt.

Josef gelingt es, mit der Familie nach Wladiwostok zurückzukehren. Dort aber sind sie nicht mehr sicher. Sie weichen aus in die Mandschurei nach Harbin. Mittlerweile hat Tanja zwei Kinder geboten. Sie hat sich in der ihr fremden Umwelt eingelebt. Doch in China brodelt es.

 

„...Wenn China sich erkältet, bekommt die ganze Welt Schnupfen...“

 

Die eigentliche Gefahr aber wächst in Europa heran. Die Meinung der Deutschen in Harbin zum Nationalsozialismus ist gespalten. Währenddessen streckt Japan seine Fühler nach der Mandschurei aus.

Dann kommt der Zweite Weltkrieg. Am Ende des Krieges besetzt die Rote Armee Harbin. Das ist für Josef und die meisten Deutschen das Todesurteil. Tanja gelingt die Flucht mit den drei Enkelkindern nach Deutschland.

Ein Personenverzeichnis, Sachregister, Quellenangaben und Hinweis auf Abbildungen vervollständigen die Geschichte.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist spannend und gleichzeitig voller Informationen. Das bedeutet auch, dass man zum Lesen Zeit benötigt. Belohnt wird man mit einem tiefen Blick in die Historie zwischen Russland, China und Japan.