Rezension

Not woth the hype

Liebes Arschloch -

Liebes Arschloch
von Virginie Despentes

Bewertet mit 2 Sternen

Rebecca ist eine berühmte französische Schauspielerin, die mit ihren jedoch etwa 50-jährigem Kapital (aka ihrem Körper) für den Filmmarkt nunmehr als zu alt sprich uninteressant gilt. Auf Instagram sieht sie einen reißerischen Beitrag vom etwa 10 Jahre jüngeren Oscar, der zwar selbst efolgreicher Schriftsteller ist, aber zur Zeit ebenfalls in einer Schaffenskrise steckt. Öffentlich lästert er über Rebecca: der ehemalige Teenie-Schwarm sei nicht nur zur Schlampe verkommen und alt geworden, "Sie ist auch auseinandergegangen, verlebt, schlechte Haut, ein schmuddeliges, lautes Weibstück" (S. 5). Rebecca lässt das natürlich nicht unkommentiert und reagiert promt mit folgenden keifenden Worten: "Liebes Arschloch [...] Ich hoffe, dass deine Kinder von einem Lastwagen überfahren werden und du ihren Todeskampf mitansehen musst, ohne etwas tun zu können, und dass ihnen die Augen aus den Höhlen spritzen und ihre Schmerzensschreibe dich jeden Abend verfolgen." (S. 6).

Als dritte im Bunde mischt sich alsbald Zoé ein, ehemalige Pressereferentin in Oscars Verlag, die nach übergriffigem Verhalten durch Oscar inklusive Stalking nur noch die Kündigung als Ausweg sah und sich nun auf Instagram zur bekannten, radikalfeministischen Aktivistin hochgebloggt hat - und Oscar im Zuge von #MeToo an den Pranger stellt.

Was sich ergibt, ist ein 330 Seiten mächtiger elektronischer Briefwechsel zwischen Rebecca und Oscar, der hin und wieder durch Essays von Zoé unterbrochen wird. Aus dem anfänglichen Hasstiraden zwischen Rebecca und Oscar ergibt sich nach und nach so etwas wie Freundschaft, denn beide sind sich ähnlicher als gedacht und nähern sich immer weiter einander an. Doch die 330 Seiten umfassende Korrespondenz hat mich nicht mal annähernd so begeistert wie erwartet und leider regelrecht gelangweilt und genervt. Beide Protagonisten sind schrecklich nervtötende Persönlichkeiten, die eine Person anstrengender und unsympathischer als die Andere. Es wurde so viel um sich gebissen (ja, es wurde auch so etwas in der Art wie sich versöhnt, Einsicht gezeigt und aufeinander zu gegangen).

Und ja, der Roman thematisiert viele aktuelle, unbestreitbar wichtige Themen wie Feminismus und das systemische Patriarchat, Elternschaft, Älterwerden, Sucht, Cyber-Mobbing und psychische Gesundheit in Zeiten von TikTok. Zudem spielt das Buch in großen Teilen zur Zeit des Lockdowns, wobei infolgedessen auch immer wieder so viel uninteressantes hochgefahren und eingefangen wird (erklär mir doch noch mal Zoom! Und juchu, jetzt klatschen wir alle nochmal schön für die Pflegekräfte!) Aber die Charaktere leiden unter ausgeprägten Narzissmus und übertrumpfen sich ständig selbst mit endlosen Gefasel über sich selbst. Despentes Roman ist ein Werk über die rage culture, und Rebecca ist dabei eine unerträgliche Diva, Oscar ein zutiefst gekränkter Täter mitten im #MeToo-Skandal, der sich ja auch so leid tut und damit durchgehend in Selbstmitleid suhlt (*hust* Täter-Opfer-Umkehr). Die Dialoge sind langatmig, beide haben ein Faible dazu endlose Monologe zu führen und drehen sich dabei thematisch oft und immer wieder im Kreis.

"Liebes Arschloch" hat mich leider Mal so richtig kalt gelassen und war dem Schreibstil sei dank sehr anstrengend zu lesen, ich habe nichts gefühlt und keinen Zugang gefunden - weder zu irgendeinem Charakter noch zu Despentes mir zu aufgesetzten, mal umgangssprachlich mal intellektuell hochtrabenden Schreibstil. Gestört hat mich auch der unkritische exzessive Drogenmissbrauch. Oscar (dieser Kotzbrocken - sorry) schließt sich zwar als Teil seiner persönlichen Charakterentwicklung den Narcotic Anonymous an - in seiner Lage wäre es ja auch immerhin brandgefährlich unter dem Einfluss von Alkohol noch etwas schlechtes in die Welt herauszuschreien. Rebecca (die Femme Fatale schlechthin) kokst und säuft derweil fröhlich weiter - Drogenmissbrauch ist für sie das, was sie scheinbar ein stückweit jung hält und nach wie vor interessant macht.

Zwischendurch gab es immer wieder einige interessante Ansätze und auch die Protagonisten haben eine relativ ansehbare Entwicklung zum Guten hin durchlebt, aber die monologisch gehaltenen Dialoge zweier privilegierter Menschen haben mich doch ziemlich entnervt zurückgelassen. Was mich aber am stärksten entzaubert hat war die Form des Briefromans, in der zwei Boomer in ihrer Midlife-Crisis vor sich hin fabulieren - und was am Anfang noch witzig und spritzig war, war am Ende leider nur noch ermüdend und qualvoll. Dem Buche zugutehalten muss ich: die Themen sind gut, die Umsetzung hat mich durch die ständig unter Drogen stehenden und wehleidigen Protagonisten null erreicht.