Oft missverstanden - und von mir für wunderbar befunden
Bewertet mit 5 Sternen
Gott ist tot. Und die Menschen haben es noch nicht bemerkt? Die Religion? Ein Götzendienst in einer sinnentleerten Welt. Was ist schon gut und böse, wenn das oberste Ziel des Lebens in der Relativität der Werte versinkt? Zarathustra ist der Verkünder des neuen Heils: "Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren -- welcher ist der Übermensch." Jenes vollkommene Wesen, "rechtwinklig an Geist und Seele", das die Kranken und Schwachen verachtet, die moralinsauren Spießbürger, deren neuer Götze der Staat ist, die Asketen, die ihren Leidenschaften nur das Deckmäntelchen der Tugend überstreifen. Wie Blitze lässt Zarathustra seine Wut, seine Provokation und seine Polemik hernieder fahren auf das Volk.
Und ja, polemisch, provokant und missverständlich ist dieses Werk von vorne bis hinten und ich fürchte, darum auch sehr leicht zu missbrauchen. Denn wer das, was drinsteht, wörtlich nimmt, glaubt ein sehr amoralisches Buch zu lesen.
Darum musste ich eigentlich über so gut wie jeden Satz mehrmals nachdenken und jedes einzelne Gleichnis noch mal im Kopf Revue passieren lassen, um es richtig zu verstehen (wobei es laut Nietzsche ja keinen einen richtigen Weg zum Verständnis gibt *g*). Wenn Zarathustra heuchlerischen Priestern oder verkrüppelten Menschen begegnet, so begegnet er nicht wirklich heuchlerischen Priestern oder Menschen mit körperlichen Gebrechen, sondern man muss alles in diesem Buch immer wieder auf die geistige Ebene runterbrechen, sonst ergeben manche Passagen überhaupt keinen Sinn oder klingen mehr als menschenverachtend.
Für mich als religionskritisch eingestellten Menschen sehr faszinierend zu lesen, wie Nietzsche mit geheuchelter Nächstenliebe (die nur der Selbstbeweihräucherung dient) und geheuchelten Tugenden (die nicht Selbstzweck sind, sondern nur dazu da um sich als was Besseres zu sehen...) abgerechnet hat. Da habe ich permanent mit dem Kopf genickt...
Allerdings ist es Quatsch, was Nietzsche über Frauen schreibt ;-).
Insgesamt aber ein Buch, das nicht nur Nietzsche als Philosophen sondern auch als Dichter ausweist - und entsprechend dicht verdichtet ist es von vorne bis hinten. Schwere Kost und ich werde es bestimmt noch einige Male lesen müssen, um es ganz zu verstehen - aber lesenswert ist es allemal