Oper und Alter
Bewertet mit 4 Sternen
In seinem Vorwort „Eine Kopfnote statt mehrerer Fußnoten“ betont der Autor, mit diesem Buch keine Biographie geschrieben zu haben, sondern eine persönliche Annäherung an den Komponisten. Auch wenn er nach eigenen Angaben die Chronologie als unwichtig erachtet, lassen sich Eckpunkte aus Verdis Leben verifizieren, die Kompositionen seines einzigen Requiems für den italienischen Dichter und Freund Alessandro Manzini, die Uraufführungen von „Otello“ und „Falstaff“ und den Bau seines Altersheims für italienische Musiker, die Casa di Riposo per Musicisti in Mailand.
Dass Verdi schon zu Lebzeiten berühmt war, angebetet wurde und die Aufführungen seiner Werke meist ausverkauft waren, weiß man; Härtling stellt die Konsequenzen des Erfolgs für den alternden Komponisten dar: Bisweilen gehetzt zwischen Proben und Premieren nicht nur in Italien, voller Lampenfieber vor Uraufführungen und fahrig, nervös und aufbrausend mit Sängern, Dirigenten, seinen engsten Freunden und vor allem seiner zweiten Frau Peppina und immer wieder voller Selbstzweifel. Erst nach deren Tod, so scheint es, gibt er die musikalische Verantwortung für die Umsetzung seiner Kompositionen ab.
Es ist vor allem der Mensch Verdi, der Härtling interessiert, und sein Altern, die körperlichen Gebrechen, die ihm das Reisen und die Arbeit am Dirigentenpult beschwerlich machen, die Diskrepanz zwischen Arbeiten-wollen und Arbeiten-können und der langsame Abschied von Weggefährten, Orten und Betätigungen. – Wer weiß, wie viel „Härtling“ in Verdi geflossen ist? Härtling ist 82. –
Doch Musik war nur eine Seite in Verdis Leben. Durch seine Kompositionen reich geworden nutzte er sein Geld, um für die Arbeiter seines Guts zu sorgen, ihnen ein Krankenhaus zu bauen und in Mailand ein Altersheim für Musiker, die nicht mehr ihrem Beruf nachgehen können. In der Kapelle dieses Heims liegen die Gräber von Verdi und Peppina.
Härtlings fließende Sprache mit ihren nahtlosen Übergängen zwischen Gedanken, wörtlicher Rede und Erzähltext wirkt stimmig und liest sich schön, aber schwierig bis man den Rhythmus gefunden hat. Die neun Kapitelüberschriften von „Accelerando a capriccio“ bis „Allegretto mesto“ geben eine Berührung an Thema, Takt und Tempo des Kapitels vor.
Ganz in der Tradition seiner früheren „Biographien“ über Musiker wie Schumann, dem er sich in „Variationen über mehrere Personen“ nähert, oder Fanny Hensel-Mendelsohn, der er „Etüden und Intermezzi“ widmet, geht Härtling nicht nur einen musikalischen-literarischen Weg, sondern auch einen persönlichen, indem er immer wieder mit eigener Stimme kleine Kommentare spricht und so sich selbst in Beziehung zu seinem Sujet setzt, etwas das seine Romanbiographien einzigartig macht.