Rezension

“Passenger” von Ronald Malfi ist definitiv einen Blick wert

Passenger: Mystery Thriller - Ronald Malfi

Passenger
von Ronald Malfi

Bewertet mit 3.5 Sternen

Was würdest du tun, wenn du in einem Bus in Baltimore erwachst. Du erinnerst dich an all das Erlernte in deinem Leben, wie man spricht, wie man läuft, wer der aktuelle Präsident ist. Du kannst dich aber nicht mehr an dich selbst erinnern, weder an deinen Namen, deinen Charakter noch an irgendein Teil aus deiner Vergangenheit. Dem namenlosen Protagonisten in “Passanger” ergeht es genau so.
Als er das erste Mal sein abgehärmtes Spiegelbild erblickt, seinen kahlgeschorenen Kopf, die neue Kleidung, die er trägt, erkennt er sich nicht. Er findet eine Adresse, die in seine Handfläche geschrieben wurde. Mit dem Ort hinter dieser Adresse beginnt seine Suche nach sich selbst.

Malfi wirft den Leser ebenso wie seinen Protagonisten in dieses Szenario hinein. Ahnungslos begleitet man “Moe” Schritt für Schritt auf der Suche nach seinem Leben und wird dabei oft philosophisch hinterfragt. Ist es nicht vielleicht ganz gut wieder komplett von vorne beginnen zu können? Mit absolut weißer Weste in ein komplett neues Leben zu fallen? Sollte man sich bei seiner Suche an öffentliche Organe wenden? Und was ist, wenn man nun ein gesuchter Schwerverbrecher ist? Ist “Moe” vielleicht sogar ein Spezialagent, dem man irgendwie die Erinnerungen nahm, damit er keine brisanten Geheimnisse ausplaudern kann?
Auf seiner Suche begegnet der Protagonist den verschiedensten Charakteren, die immer anders mit seiner Situation umgehen. Manche glauben ihm nicht, andere sind begeistert, wiederum andere bedauern ihn.

Ronald Malfis Schreibstil hat mich begeistert. Man muss ihn aufmerksam lesen, der anspruchsloseste ist er ganz gewiss nicht, aber der Autor versteht es durch wunderbare Schriftsprache scharfe und plastische Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Man verfolgt das visuelle Geschehen, hört die begleitenden Geräusche, riecht das Aroma der Szenerie. Gepaart mit den philosopischen Aspekten des Buches war dies aus dieser Sicht ein wahrer Lesegenuss.

Der Autor zeichnet auch seine Charaktere sehr liebevoll und realistisch. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl einer fiktiven, unrealistischen Person zu begegnen. Sie sind alle menschlich, mit ihren Vor- und Nachteilen, mit ihren Macken und Talenten.

Warum bewerte ich das Buch dann mit 3,5 Sternen?
Zum einen ist “Passenger” nicht spannend. Der Leser begeleitet “Moe” auf seinem Weg, dies ist auch alles sehr interessant und gut geschrieben, nur eben nicht spannend. Der Reiz dieser Geschichte liegt in anderen Aspekten.

Zudem fehlte mir eine ganze Zeit lang ein roter Faden. Ich habe mich immer wieder gefragt, wo ich denn nun bin, was für eine Art Geschichte ich lese. Einen Thriller, SciFi, Fantasy, Drama oder Horror? Dies ist einerseits sehr förderlich für die Geschichte, da man sich als Leser ebenso verloren fühlt, dennoch störte es mich.

Ob sich auflösen wird, zu welchem Genre dieses Buch zu zählen ist und ob der namenlose Charakter seine Identität wiederfinden wird, das werde ich nicht verraten. Das gehört einfach tief verwoben zur Geschichte und sollte von jedem Leser selbst entdeckt werden.
Nur eines: Der Schluss hinterließ mich mit einem ziemlich heftigen Kloß im Hals.

Normalerweise interessiert mich dieses Thema eher weniger, dennoch möchte ich das Cover des Buches sehr lobend erwähnen. Wie auch schon bei Bentley Little’s “Haunted” ist dieses Cover mehr als passend, sehr atmosphärisch und ein Eyecatcher. Ich wünschte mir, dass ich mehr tolle Bücher mit solch einem tollen Cover in meinem Regal haben könnte, so dass eben nicht nur der Inhalt, sondern auch das Äußere ansprechend ist.

“Passenger” von Ronald Malfi ist definitiv einen Blick wert, wenn man sich an Sprache und einem intelligenten Plot erfreuen, aber auch mit spannungsärmeren Kapiteln umgehen kann. Und ich wette, dass auch jeder andere Leser nach dem Beenden und Zuklappen des Buches einen Kloß spüren wird.