Rezension

Peinliche Eltern ...

Die Stellung
von Meg Wolitzer

Bewertet mit 4 Sternen

Roz und Paul Mellow beschlossen, dass vier Kinder gut einmal aufeinander aufpassen könnten, und gönnten sich einen Abend zu zweit. Die Eltern konnten nicht wissen, dass ihre Kinder an diesem denkwürdigen sturmfreien Abend unter Führung des Zweitältesten „das Buch“ aus seinem Versteck holen und gemeinsam betrachten würden. Die Mellows hatten „Pleasuring“, ein Buch über Sexualität, veröffentlicht, in dem sie selbst, von einem Künstler gezeichnet, beim Sex zu sehen sind. Eingequetscht zwischen “Unten am Fluss“ und dem Hundebuch hatte das Buch ein unauffälliges Dasein geführt - bis zu diesem Tag. Tochter Holly ist damals 15, Michael 13, Dashiel und Claudia sind noch im Grundschulalter. In den 70ern hatte buchstäblich jedes amerikanische Paar das Buch im Regal, so dass die vier Kinder sich im weiteren Leben stets als „Sex-Mellows“ abgestempelt fühlen werden. Kurz nach der Veröffentlichung des Buches scheitert die Ehe der Eltern, die Familie ist inzwischen in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Immerhin finanzieren die Einnahmen aus dem Buch die Ausbildungen der Kinder; für amerikanische Verhältnisse ein beachtlicher Vermögenswert. Vom Auslöser der Trennung als Clou des Ganzen erfährt man als Leser erst zum Ende der Handlung. In der Gegenwart hat Michael Mellow, inzwischen rund vierzig Jahre alt, ausgerechnet mit sexuellen Problemen zu kämpfen. Der jüngere, inzwischen schwer kranke, Dashiel wird seinen Eltern ein Leben lang übelnehmen, dass ihr Buch allein heterosexuellen Sex zeigt und er als Homosexueller darin nicht vorkommt. Nun soll Pleasuring neu illustriert und neu aufgelegt werden. Roz ist ihre Bekanntheit durch das Buch sehr wichtig, Paul dagegen interessieren weder die Einnahmen durch die Neuauflage, noch gönnt er seiner Frau die Aufmerksamkeit, die sie dadurch erfahren würde. Michael soll nun in Roz Interesse mit seinem Vater verhandeln und reist dazu ans andere Ende des amerikanischen Kontinents, wo Paul inzwischen lebt.

In langen Rückblicken wird das Kennenlernen von Roz und Paul eingeschoben, wie auch die Entwicklung der Geschwister bis in die Gegenwart. Bereits die Familiengeschichte der Mellows bedeutet für das Paar eine Bürde und ist nicht ohne Komik. Roz Vater war Psychiater, Paul lernt seine Frau zur Zeit seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten kennen. Vom Roman einer Familie mit vier Kindern hatte ich eigentlich mehr Dynamik in der Geschwisterbeziehung erwartet, doch die Einzelschicksale bleiben durch die räumliche Trennung vereinzelt. Ungewöhnlich für Vertreter der 70er Jahre fand ich, dass sich am Ende nur für die Söhne ein Kreis schließt, während eine Tochter völlig überfordert von der Familie Abstand hält und die andere obsessiv in ihrer Vergangenheit forscht.

Um Meg Wolitzers neuen Roman zu mögen, muss man Sinn für die peinlich-komische Schlüssel-Situation haben, wenn zwei Pubertierende gemeinsam mit ihren kleinen Geschwistern ihre Eltern in einem Aufklärungsbuch beim Sex betrachten und wenig später realisieren, dass im ganzen Land alle anderen Menschen diese Bilder auch betrachten. Auch wenn die Handlung völlig anders verlief, als ich es mir vorgestellt hatte, bleibt von Wolitzers Buch die Erinnerung an hochkonzentrierte Tragikomik zurück.