Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Pfeil in die Zukunft

Wenn Worte meine Waffe wären - Kristina Aamand

Wenn Worte meine Waffe wären
von Kristina Aamand

Bewertet mit 4 Sternen

Der Vater ist Journalist und Dichter und wird wegen seiner kritischen Worte eingekerkert und gefoltert. Zusammen mit seiner Frau und seiner siebenjährigen Tochter gelingt ihm die Flucht nach Dänemark, er erhält Asyl und wird eingebürgert. Das ist nun schon zehn Jahre her. Ende gut, alles gut? Absolut nicht. Den Vater lassen seine Erlebnisse nicht los; er verfolgt im Fernsehen die Berichterstattung über den Bürgerkrieg und wird davon so mitgenommen, dass er regelmäßig die Beherrschung verliert und völlig ausrastet, auch seiner Frau gegenüber. Die Mutter geht den Weg der Anpassung: Sie hat sich ganz in die Rolle der muslimischen Frau begeben und tut alles, um in der Ghetto-Umgebung nicht aufzufallen. Auf der Tochter Sheherazade ruhen alle Hoffnungen: Sie ist der Pfeil in die Zukunft, sie soll Ärztin werden und viele Kinder bekommen. Also wird sie mit ihrem Kopftuch in ein entferntes Gymnasium geschickt, wo sie sich als Außenseiterin fühlt, als Schokodrops in einer Tüte mit Traubenzucker. 

Der Vater wird wegen Herzbeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert, und hier lernt She ein gleichaltriges Mädchen kennen. Thea ist offen und ohne Vorurteile, und es entwickelt sich schnell eine Freundschaft zwischen den Mädchen. Und dann kommt es zu Küssen und mehr. She weiß nicht, wie ihr geschieht - ein muslimisches Mädchen kann doch unmöglich lesbisch sein! Sie zweifelt an sich und hat große Angst davor, dass jemand aus ihrer Umgebung sie beobachten könne, denn dann würde sie sofort ausgestoßen. Bei ihrer Suche nach ihrem eigenen Weg findet sie aber auch Verständnis an völlig unerwarteter Stelle.

Der Inhalt des Buches ist wichtig: Es reicht nicht, Flüchtlingen eine minimale Existenzgrundlage zu sichern, für eine Integration ist entschieden mehr nötig. Und auf der Seite der Menschen, die zu uns kommen: Die Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen ist belastender als wir uns vorstellen, da geben Religion und Traditionalismus oft Halt. Der Stil des Buches ist für mich ansprechend: She ist die Ich-Erzählerin, so dass der Leser ihre Gedanken und Gefühle aus erster Hand erfährt. Auch sie ist schriftstellerisch begabt; sie schreibt Zine, kleine Magazine, die aus Collagen von Zeitungsausschnitten, Bildern und eigenen handschriftlichen Kommentaren bestehen. Mehrere dieser Zines sind in den Text integriert und machen ihn noch authentischer. Nicht ganz überzeugt hat mich Shes Reaktion auf ihre Gefühle zu Thea: Ja, sie hat Angst, etwas Böses zu tun, aber die Zweifel an ihrer eigenen sexuellen Orientierung sind mir doch etwas zu schnell abgehandelt. Theas Welt ist für mir zu ideal gezeichnet. Und auch die Reaktion des Vaters finde ich sehr überraschend und nicht ganz überzeugend.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2019 und wurde hierfür von der Jugendjury vorgeschlagen. Auch wenn es mich nicht ganz überzeugt hat: Die jugendlichen Leser, und das ist ja wohl die eigentliche Zielgruppe, haben es wertgeschätzt.