Rezension

Poesie und Brutalität

Anima - Wajdi Mouawad

Anima
von Wajdi Mouawad

Der Begriff Anima kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Seele, wird aber auch in der Archetypenlehre von C. G. Jung verwendet und bezeichnet dort die innere Persönlichkeit. Der Bezug zu „Anima“,  dem Roman des kanadischen Autors mit libanesischen Wurzeln Wajdi Mouawad, lässt sich am ehesten aus der indianischen Mythologie herleiten, in der davon ausgegangen wird, dass jedem Menschen ein spirituelles Tier zur Seite steht, das als Schutzgeist fungiert und ihn durch das Leben begleitet.

Mouawad hat einen Roman geschrieben, der nicht eindeutig einem Genre zuzuordnen ist. Die Ausgangssituation lässt einen Thriller vermuten: Wahsch Dibsch kommt nach Hause und findet dort den Leichnam sein Frau, die brutal ermordet wurde. Obwohl die Identität des Täters schnell geklärt ist, wird dieser nicht von der Polizei verhaftet und zur Rechenschaft gezogen, steht dieser doch in deren Diensten. Und so kann er unbehelligt fliehen.

Angetrieben von dem unbändigen Wunsch nach Vergeltung, nimmt Dibsch die Sache selbst in die Hand und macht sich auf die Suche nach dem Mörder. Von Kanada aus verfolgt er diesen bis nach New Mexico, wo es schließlich in den Bergen zum Showdown zwischen den beiden Männern kommt.

Aber ist es wirklich die Suche nach dem Mörder seiner Frau, die Dibsch antreibt? Die Wendung, die der Roman zum Ende hin nimmt, lässt anderes vermuten. Es ist die Suche nach den Wurzeln, die Frage nach dem „Woher“, deren Beantwortung ihn mit schmerzhaften Wahrheiten konfrontiert und in der finalen Aussage mündet, dass der Mensch des Menschen Wolf ist.

Das stellt nun auch den Bezug zum Tierreich her, denn der Autor lässt die Geschichte seines Protagonisten von den verschiedensten Tieren erzählen, die die jeweiligen Vorgänge beobachten und aus ihren Blickwinkeln schildern und so stellvertretend die Vielschichtigkeit und Komplexität der Welt symbolisieren. Katze, Vogel, Hund und noch so einige andere Tiere kommen auf diese Weise in den ersten zwei Dritteln des Buches zu Wort, bis dann im letzten Teil wieder ein  Mensch den Part des Erzählers übernimmt.

Kurze Kapitel, aus den verschiedenen Tier-Perspektiven erzählt, bringen hohes Tempo in diesen mehrfach preisgekrönten Roman, der allerdings stellenweise dermaßen vor Gewalt strotzt, dass man sich fragen muss, ob das für die Dramaturgie der Geschichte wirklich wichtig ist. Diese schnellen Schnitte, einerseits mit aggressiven Szenen, andererseits mit Klischees gepaart, wirken eher so, als seien sie für Zuschauer und nicht für Leser gemacht. Man merkt ihnen an, dass Wajdi Mouawad vom Theater kommt und dort erfolgreich als Darsteller, Regisseur und Autor gearbeitet hat.

„Anima“ ist ein ungewöhnlicher Roman, der Poesie und Brutalität gleichermaßen in sich vereint – eine Empfehlung für Leser, die auf der Suche nach einer außergewöhnlichen Lektüre sind!