Rezension

Potential nicht ausgeschöpft

Wilde grüne Stadt - Marius Hulpe

Wilde grüne Stadt
von Marius Hulpe

Leider konnte dieser erste Roman von Marius Hulpe nicht meinen Erwartungen standhalten. Wir erfahren etwas über Reza, ein iranischer Gutsherrensohn, der Anfang der 1960er nach Deutschland geschickt wird, um dort Informationen über Technik und Politik zu sammeln und diese an sein Heimatland "weiterzuleiten". Aber viel mehr erfahren wir über Niklas, seinen Sohn aus einer Affäre mit Clara, Tochter in einer kleinen Modeimperiumsfamilie in einer Kleinstadt im Sauerland.

Beworben wird es als "Geflecht aus Liebe, Familie, Herkunft und Politik. Zwischen Iran und Deutschland, über fünf Jahrzehnte hinweg." Prinzipiell ist auch all das im Roman vorhanden, nur aus meiner Sicht leider in einem ungünstigen Verhältnis zueinander. Zu sehr arbeitet sich Hulpe am Kleinstadtleben und Banalitäten aus der Kindheit und Jugend von Niklas ab. Ja, natürlich immer mit dem Touch der Fremdenfeindlichkeit tief verankert in der Bürgerschaft des Ortes. Trotzdem ist das Thema für mich nicht erhellend bearbeitet worden, sondern nur verzichtbares Beiwerk. Schade. Auch die Befindlichkeiten von Clara, welche aus dem bürgerlichen Umfeld ausbrechen möchte, erscheinen unglaublich uninteressant. Der vermeintlich interessanteste Aspekt des Romans, nämlich die Geschichte Rezas kommt viel zu kurz und wird meines Erachtens nicht tiefgründig genug beleuchtet. Aus der oben genannten Aufzählung wird der Bereich "Politik" gerade im Spannungsfeld zwischen der letzten Schah-Ära und der Islamischen Revolution viel zu beiläufig behandelt. Hier schwächelt aus meiner Sicht der Roman am meisten.

Stilistisch stört mich am Buch vor allem das wilde Hin und Her zwischen den Jahren, Personen und Orten. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum diese Geschichte derart verwurschtelt und anstrengend sortiert werden musste. Es ergeben sich so gut wie keine Aha-Effekte, dadurch, dass man bestimmte Szenen erst nachträglich liest und nicht in (einigermaßen) chronologischer Reihenfolge. Stets ist man dabei zu überlegen, wenn die nächste Kapitelüberschrift ein anderes Jahr zwischen 1959 und 2011 ankündigt, was nun schon zwischen den Protagonisten passiert ist oder eben nicht. Das verringert den Lesegenuss ungemein. Auch wird nicht klar, warum der Roman in vier Teile von "Erstes Buch" bis "Viertes Buch" gegliedert wurde. Es gibt keinerlei Spannungsbogen über diese Teile hinweg. Alle Kapitel hätten beliebig neu angeordnet werden können.

Wer hier erkenntnisreiche Literatur auf hohem Niveau zum Spannungsfeld Iran - Deutschland während der Schah-Ära und der Islamischen Revolution erwartet, wird bitter enttäuscht und mit einem Kleinstadtporträt der hauptsächlich 70er und 80er abgespeist. Schade, so konnte der Roman sein Potential nicht genügend ausschöpfen.