Rezension

Psychogramm einer Misanthropin

Ein norwegisches Haus - Vigdis Hjort

Ein norwegisches Haus
von Vigdis Hjort

Bewertet mit 4 Sternen

Was für ein ungewöhnliches Buch! Während des Lesens fragte ich mich die ganze Zeit, auf was die Autorin hinaus will. Obwohl oder weil ich vieles nicht verstand, konnte ich nicht aufhören zu lesen. Die Spannung stieg und erst auf den letzten Seiten wurde meine Neugier gestillt.

Doch worum ging es? Die frisch geschiedene Alma hat sich dank einer Erbschaft ein Haus mit einer kleinen Einliegerwohnung gekauft. Als Textilkünstlerin (sie näht Fahnen und Banner und bekommt ab und zu auch große Aufträge für Wandteppiche, zum Beispiel für eine neu erbaute Schule) sind ihre Einnahmen nicht konstant, weshalb sie diese Einliegerwohnung vermietet. Da sie Auseinandersetzungen jeglicher Art vermeidet, verzichtet sie auf so manche vertragliche Regelung.

Ein polnisches Paar zieht ein. Alma beobachtet, wie sich die Fremden verhalten, sieht sie kommen und gehen; nimmt aber keinen persönlichen Anteil an deren Leben. Ganz im Gegenteil: sie ärgert sich über deren Art zu wohnen, über deren Wasserverbrauch und die immer voll aufgedrehte Heizung. Für die anfallenden Kosten muss sie wegen der fehlenden Regelung als Vermieterin geradestehen.

Immer wenn Alma einen großen Auftrag bekommt, entflieht sie ihrem Zuhause, weil sie sich dort von Nachbarn oder Besuchern in ihrer Kreativität behindert fühlt. Über einer Arbeit zu einem großen Wandteppich zur Verfassung verzweifelt sie fast. Sie reißt aus ins Ausland und entdeckt bei ihrer Rückkehr, wie verlottert ihr Zuhause aussieht. „Die Fenster schmutzig, die Farbe an den Fensterrahmen abgeblättert, die Tür war schmutzig; sie hatte das Gefühl, das ganze Haus wimmerte.“ Währenddessen waren die Zufahrt und Terrasse der Polin in Ordnung. So, als wolle die Nachbarin ihr vor Augen führen, wie nachlässig Alma mit dem Haus (und sich selbst?) umging.

Die norwegische Autorin Vigdis Hjorth wurde 1959 in Oslo geboren, wo sie auch aufwuchs. Sie hat drei Kinder und war unter anderem in der Schweiz und Frankreich zu Hause. Nachdem sie 1983 einen Studienabschluss in Ideengeschichte, Politikwissenschaften und Literatur absolviert hat, veröffentlichte sie zahlreiche Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt und mit diversen Preisen ausgezeichnet wurden. Vigdis Hjorth ist in Norwegen auch für ihre Essays und Diskussionsbeiträge zu aktuellen gesellschaftlichen Themen bekannt, sowie für ihren scharfen Blick für Alltags-Sexismus und rassistische Vorurteile und Verhaltensweisen.

Für mich war es das erste Buch dieser Schriftstellerin, wird aber wahrscheinlich nicht das Einzige bleiben. Zu Beginn des Buches hatte ich den Eindruck, dass die Autorin mit ihren handlungsarmen Worten nur zeigen wollte, wie die Zeit vergeht. Dann kamen Abschnitte, in denen sich das Gefühl breit machte, dass gleich etwas Ungewöhnliches passieren wird – doch auch die endeten im Nichts. In der Eintönigkeit zeigte sich, dass Alma das Haus mit sich selbst gleich setzt. Ihre Unfähigkeit, echte Gefühle zuzulassen, behinderten sie nicht nur in der Arbeit, sondern auch im Leben. Obwohl ab und zu ein „Liebhaber“ zur Sprache kommt, hat sie keine Beziehungen. Dafür entwickelt sich die Mieter/Vermieter-Konstellation zum spannenden Psychoterror, der dazu führt, dass sich Alma endlich um sich selbst und ihr Zuhause kümmert.

Fazit: Dieses Buch, das ständig um Almas Befinden mäandert, ist sicherlich nicht nach jedermanns Geschmack. Mich hat es beeindruckt und die Augen dafür geöffnet, wie wenig wir uns manchmal selbst kennen.