Rezension

Qualvoll quellen die Quisquilien

Anmut und Gnade
von Wolfgang Schlüter

Bewertet mit 2 Sternen

Die größte Gefahr für einen Stilisten wie Schlüter, der sich der Barock-Oper im Roman nähern möchte, scheint zu sein, sich ganz und gar im barocken zu verlieren. Schlüter breitet im formalen Korsett der französischen Oper à la Rameau die Geschichte des PR-Manns Mardtner aus, der das ‚Ensemble Les Enceclopédistes‘ zu einem neuen Opernprojekt nach Paris begleitet. Stundenlang sitzt er in den Proben, lauscht dem Impressario Christoph „Erlkönig“ Erlmayr, während und Schlüter jede Minute teilhaben lässt, nur dass wir als Leser ja nichts sehen oder hören, also um das Wesentliche betrogen werden. Die Instrumente hört man kaum, den Erlkönig hingegen ständig.

Die Erzählung spickt Schlüter mit zahlreichen wohl barock gemeinten Manierismen, vor allem Fremdworten, französischen Phrasen und eigentümlicher Wortstellung, wobei die Hintanstellung des Reflexivpronomens im Satz dem Leser sich nicht erschließt. Q.E.D. Die Passagen, in denen sich das historische Personal um Rameau, Voltaire und etwa zehntausend andere Namen tummelt, ist bisweilen noch umso verquaster, an Worten, Phrasen, Blasen, Zitaten reich. Schlüter entschuldigt sich im Nachwort für den „Eklektizismus es Autors“ (S. 350), der meines Erachtens tatsächlich der Entschuldigung bedarf, am besten im Vorwort.

Geradezu unverschämt ist die Fülle genannter Personen – etwa des gesamten Ensembles –, und die Selbstbezeichnung der Truppe ist mehr als nur ein Hinweis auf die enzyklopädische Aufzählsucht des Autors. Figuren wie Grünspan wirken künstlich und ganz und gar nicht lebendig, wie überhaupt alles mehr gekünstelt denn kunstvoll wirkt.

Ganz am Anfang stürzt ein Flugzeug ab – nur dieser Beginn eines Spannungsbogens hielt mich vom Abbruch ab. Allerdings wartet man auf den Aufprall bis zum Schluss vergebens.

„Anmut und Gnade“ – der Titel hat schon ausreichend viel Bühnenpathos, Theaterschminke und Plissierflitter – ist nur etwas für genüssliche Langsamleser, Stilkundler und Musikfachleute.