Rezension

Rückwärts gelesen

Archipel - Inger-Maria Mahlke

Archipel
von Inger-Maria Mahlke

Bewertet mit 4 Sternen

Julio Baute ist der Pförtner im Asilo, dem Altenheim von La Laguna auf Teneriffa. Wenn er nicht gerade die Übertragungen von Radrennen im Fernsehen sieht, hat er ein wachsames Auge auf die alten und dementen Bewohner der Einrichtung, bewahrt sie vor eigenmächtigen Ausflügen. Aber Julio bewahrt auch die Erinnerungen seines eigenen sehr langen Lebens. Denn Julio selbst ist schon 95 Jahre alt.

Archipel ist der 2018 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Roman der Schriftstellerin Inger-Maria Mahlke. Ein Archipel ist eine inselreiche Meereswelt, zu der nicht nur die Inseln sondern auch die Gewässer dazwischen zählen.

Angesiedelt ist dieser Roman auf Teneriffa, selbst eine Insel. Aber auch die Menschen in diesem Roman, von denen die Autorin erzählt sind kleine Inseln. Es sind dies die Mitglieder der gutbürgerliche Familie Baute, die Bernadottes, deren Ansehen und Reichtum über die Jahre in Verlust geriet und die Morales aus der Arbeiterschicht. Sie alle bilden soziale und politische Gegenpole über die Jahre der Geschichte immer wieder anziehen und abstoßen.

Dabei wendet Inger-Maria Mahlke, eine besondere Erzählweise an, die im Heute beginnt, bei dem alten Julio, bei seiner Tochter Ana, die als Politikerin in einen Korruptionsskandal verwickelt  und mit Felipe Bernadotte verheiratet ist. Felipe verbringt seine Tage dem Alkohol ergeben und den besseren Tagen nachweinend. Der Erzählstrang läuft sodann rückwärts von der Neuordnung nach dem Ende der Franco-Diktatur bis zu deren Beginn, über Krieg, Kampf gegen den Faschismus, den politischen Machtverschiebungen bis ins Jahr 1919, dem Jahr von Julios Geburt. Es ist keine leichte Erzählweise und es ist dies vermutlich die Erklärung für die literarische Relevanz des Buches.

Es erfordert hohe Konzentration beim Lesen, den Familienmitgliedern und allen Verknüpfungen zu folgen und schmälert etwas das Lesevergnügen. Es nimmt mitunter die Spannung,  etwas zu lesen, von dem man den Ausgang letztlich schon kennt. Vor allem je weiter man in die Vergangenheit zurückkehrt umso weniger detailliert werden die Erinnerungsinseln. Aber je weiter man zurückliest, umso mehr Sinn ergeben auch die Geschehnisse in den Epochen zuvor.

Ich glaube aber,  es wäre ein sehr spannendes Experiment, den Roman noch einmal von hinten nach vorne zu lesen.