Rezension

Schwere Themen mit Leichtigkeit transportiert

Tunnel -

Tunnel
von Grit Krüger

Bewertet mit 5 Sternen

Seit Maschas “Tröster”, die Kleine fast erwischt hat, traut die sich nicht mehr aus ihrem Zimmer, wenn er bei Mama ist. Lieber pinkelt sie in ihren Legokasten, als ihm nocheinmal zu begegnen, und wenn er ihr noch so viele Teddys vor die Tür legt:

Nachdem Mascha einen Radiator in die zweite Etage geschleppt hat und sie mit der Kleinen unter einem Berg Decken trotzdem gefroren hat weiß sie, das es so nicht weitergeht. 

Sie betritt das Gebäude, dann das Stockwerk, in dem sich die Fenster nicht mehr öffnen lassen, den Flur mit den balssgelben Türen, darunter ihre F-H, dahinter Frau Huhn, wie immer. Das Geld mussten sie ihr kürzen, weil Mascha kein Entgegenkommen zeigt, die Arbeitsangebote nicht wahrnimmt und auch keine Fortbildungen anstrebt. Wegen der Betreuung für die kleine Tinka, solle sie mal beim Jugendamt nachfragen, ist nicht Frau Huhns Metier. 

Als Mascha nach Hause kommt, sieht Tinka sie.

Sieht schon von fern, dass sie heute aufpassen muss, sonst wird Mama still und sagt gar nichts oder nur, dass sie bitte ein einziges Mal ihre Ruhe haben will und wird streng, wenn Tinka sie dann nicht ein einziges Mal in Ruhe lässt. Man muss auf ihr Gesicht achten und vorsichtig sein. S. 23

Es ist Tinkas siebter Geburtstag, Mama muss sich auf die Couch legen. 

Der Tröster kennt das: Vom Amt kommt man nur in einem Zustand zurück … Früher einmal hat er sich nach den Terminen den Mund auswaschen müssen – Strohrum, Weinbrand, Hauptsache schnell und mir Biss – um den Geschmack des Flehens und Schimpfens wieder loszuwerden. S. 24

Mascha trifft eine Entscheidung. Sie wird mit Tinka in ein Pflegeheim ziehen und dort arbeiten. Wenn sie ein regelmäßiges Frühstück aus Toast mit Marmelade und ein kleines Mittagessen zusammengespart hat und noch ein wenig Geld für Heizöl bleibt, ein paar Turnschuhe und ein kleiner Urlaub für Tinka, schätzungsweise 3.000 Euro, dann ist der Winter vorbei und sie ziehen wieder in ihre Wohnung. So der Plan.

Fazit: Was für ein großer Roman, was für ein Debüt. Grit Krüger ziseliert in ungeheurer Feinarbeit absolut glaubwürdige Charaktere, die trotz aller Macken, am Ende einen Weg in mein Herz gefunden haben. Ihr Schreibstil ist eigen und besonders. Sie zeigt uns die ganze Schwere der Armut, am Rande der Gesellschaft, des Altwerdens, ebenfalls am Rande der Gesellschaft. Wenn die Angehörigen sich kaum noch kümmern. Die Tragik der Demenz, wenn sich die Gedanken in den Kopf schleichen, die nur noch ein Früher visionieren, wenn man nichts als weg will. Die Last des Traumas, wenn man in keiner Nacht schlafen kann und so wild träumt, dass man um sich schlagen muss. Grit Krüger hat schwere Themen mit Leichtigkeit transportiert. Ein besonderes Lesevergnügen.