Rezension

Sehr empfehlenswert aber nur für Erwachsene

Die Umarmung des Todes - Natsuo Kirino

Die Umarmung des Todes
von Natsuo Kirino

Bewertet mit 5 Sternen

Vier Arbeiterinnen einer Lunchpaketefabrik geraten in einen Todesfall, der sich sehr makaber entwickelt und alle vier in große Gefahr bringt.

Die Autorin beschreibt ein sehr trostloses Japan. Alle Charaktere führen ein Leben, das anders ist, als sie es sich wünschen würden, Träume und Wünsche haben sich nicht erfüllt – oder wenn, dann nur oberflächlich. Alle versuchen – zumindest im Laufe des Romans – aus ihrem bisherigen Leben auszubrechen, teilweise aber mit sehr makaberen Mitteln.

Die Charaktere hat die Autorin sehr tiefgehend gestaltet. Da ist die junge Ehefrau und Mutter, der durch eine Tat im Affekt plötzlich ein anderes Leben offensteht, die ehemalige Bankangestellte, die sich ihrer Familie entfremdet hat und plötzlich wieder eine Aufgabe hat, die Witwe, die ihre Schwiegermutter pflegen muss und die verlebte Mittdreißigerin, die so gerne ein Leben im Luxus führt und sich dafür in die Schuldenfalle begibt. Aber auch die handelnden Männer haben Probleme, der Nachtclubbesitzer, der ein dunkles Geheimnis in sich birgt, der Geldverleiher, der sich mit der Yakuza einlässt und der Brasilien-Japaner, der sich im Heimatland seines Vaters ein besseres Leben erhoffte. Sie alle verursachen beim Lesen durchaus Probleme, denn alle sind so gezeichnet, dass man kaum weiß, ob man sie mögen (oder zumindest verstehen) oder hassen soll. Ich persönlich hatte nur eine Figur, die ich ziemlich schnell abgelehnt habe und deren Handlungen ich nicht wirklich nachvollziehen konnte.

Die Autorin erzählt ihre Geschichte aus verschiedenden Perspektiven, die Sicht jedes der o. g. Charaktere kommt dabei zum Tragen. Die Erlebnisse greifen dabei nicht nur ineinander, zum Teil wird die selbe Situation aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dabei ist besonders der Showdown grandios – er wird aus zwei Perspektiven erzählt und ist ungeheuer emotional – nicht nur für die beteiligten Charaktere, auch für den Leser, man schwankt hier zwischen allerlei Gefühlsregungen. Mich ließ das Buch sehr nachdenklich zurückund  auch nach dem Lesen zunächst nicht los.

Irgendwo habe ich gelesen, jemand hätte das Buch geschmacklos und unmoralisch genannt – und ja, so könnte man es sehen. Aber man muss auch die Moral dahinter sehen. Die Autorin lässt die Charaktere Dinge tun, die einen zunächst abstoßen, die aber auch die Frage aufwerfen, warum tun sie das? Und das zu ergründen ist eine Aufgabe, die das Buch uns stellt, die die Autorin aber nicht wirklich beantwortet, die Frage bleibt – zumindest teilweise, auch nach der Lektüre des Buches bestehen.

Das Buch ist auch ein gesellschaftskritischer Roman – und dabei nicht unbedingt auf die japanische Gesellschaft beschränkt. Ich habe beim Lesen öfter vergessen, dass die Geschichte in diesem Land spielt, für mich gab es relativ wenige Anhaltspunkte dafür. Trost- Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, Armut, schlechte Arbeitsbedingungen, das sind durchaus globale Probleme – und die Frage stellt sich schon, zu was Menschen fähig sein könnten, wenn sie die Chance sehen, daraus zu entkommen.

Trotz dieses schwierigen Themas, trotz des teilweise überaus makabren Plots ist das Buch ein Pageturner. Es ist sehr flüssig geschrieben und auch sehr spannend, außerdem immer wieder überaschend. Mit den japanischen Namen hatte ich kaum Probleme, wer allerdings das erste Mal ein Buch, das in Japan spielt, liest, wird sich zunächst einlesen müssen.

Empfehlen kann ich das Buch sehr, lesen sollten es allerdings erwachsene und für schwierige Thematiken aufgeschlossene Menschen. Es gibt hier mehr als einen Tabubruch, damit muss man umgehen können, zumal gerade diese Szenen sehr nüchtern beschrieben werden.