Rezension

Sehr guter historischer Roman

Der Geschmack des Wassers - Ingrid Kretz

Der Geschmack des Wassers
von Ingrid Kretz

Bewertet mit 5 Sternen

Wir schreiben das Jahr 1589. Barbara und ihre Schwester Lena kehren mit ihren Männern von einem Tanzfest nach Hause zurück. Dabei müssen sie ein Waldstück durchqueren. Als sich Barbara erleichtern möchte, steht plötzlich der Fuhrmann Cuntzen hinter ihr. Sie kann ihm entkommen, muss aber seine Rache fürchten.

Der historische Roman beruht auf tatsächlichen Geschehen.

Barbara ist in zweiter Ehe mit dem Müller Melchior verheiratet. Beide sind sich in Liebe zugetan, was in dieser Zeit eher Ausnahme als Regel war. Ihre Schwester Lena hat den Schmied Cornelius geheiratet. Beide Frauen wurden schon einmal als Hexen angeklagt und freigesprochen.

Cuntzen ist der reichste Einwohner des Ortes. Fuhrgeschäft und Gastwirtschaft florieren. Doch Recht und Gesetz gelten für ihn nicht. Für Misserfolge macht er andere verantwortlich. Der noch vorhandene Hexenglaube ist ihm gerade recht.

Herr über das Land ist Graf Johann. Er gehört den calvinistischen Glauben an und setzt auf Bildung für seine Untertanen.  Dazu hat er Lehrer für die Kinder der Dörfer eingestellt und eine Hohe Schule in Herborn gegründet.

Die Autorin hat das Leben der damaligen Zeit sehr detailgenau beschrieben. Der Roman zeugt von umfangreichen und exakten Recherchen. Das betrifft sowohl das Alltagsleben auf dem Dorfe als auch am Hofe des Grafen.

Das Buch lässt sich zügig lesen und hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Dazu beigetragen hat die spannende Handlung. Natürlich habe ich mit den beiden Frauen um ihr Leben gebangt. Deutlich wird, dass es schwer war, Fortschritt in die Dörfer zu bringen. Der Schulbesuch für die Kinder war ein Angebot des Grafen, dass von vielen nicht angenommen wurde. Aberglaube und Unvernunft waren zäh.

Sehr ausführlich wurde das Gerichtswesen dargestellt. Frauen hatten kaum eine Chance, gehört zu werden. Ihre Erniedrigung gehörte zum Alltag. Interessant fand ich, dass ein Teil der Bürger, die Gericht sprechen durfte, sich durchaus im Klaren darüber war, dass ihre Familie vor gleichen Anklagen nicht gefeit war.

Die sprachliche Gestaltung des Buches ist sehr gut gelungen. Während die Romanhandlung im heutigen Deutsch erzählt wird, verwendet die Autorin an passender Stelle die historischen Begriffe.

Das betrifft zum Beispiel die Angabe der Monate. Auch Bibelsprüche und Liedverse werden in Originalsprache verwendet und kursiv eingefügt. Bildhafte Sprache und gekonnte Vergleiche sind vielfach genutzte sprachliche Elemente.

Die Bedeutung des Glaubens für das Leben in damaliger Zeit wird an vielen Stellen herausgearbeitet. Besonders Barbara findet darin Halt und Kraft, auch wenn nicht verschwiegen wird, dass sie durch das Dunkel des Zweifels muss.  

Hilfreich ist das ausführliche Personenregister zu Beginn. Im Nachwort informiert die Autorin, was historisch verbürgt und was ihrer Phantasie entsprungen ist. Ein Glossar und ein Literaturverzeichnis vervollständigen das Buch.

Das in verschiedenen Brauntönen gehaltene Cover mit den zwei unterschiedlichen Frauengestalten passt zum Inhalt. Der Sinn des ungewöhnlichen Titels wird nach dem Lesen des Buches verständlich.

Der Roman hat mir ausgezeichnet gefallen. Er zeichnet ein anschauliches Bild der damaligen Zeit, hat mir einiges an neuem Wissen vermittelt und belegt, wie hartnäckig sich alte Einstellungen gegenüber neuen Möglichkeiten halten. Gleichzeitig prangert er die Schädlichkeit von Rache, Gier  und Eigennutz an.