Rezension

Sehr, sehr brutal - aber gute Literatur!

Der erste Sohn, 2 MP3-CDs - Philipp Meyer

Der erste Sohn, 2 MP3-CDs
von Philipp Meyer

Bewertet mit 4 Sternen

~~Inhalt:

Eine übliche Inhaltsangabe fällt hie schwer, weil das Buch aus drei Perspektiven geschrieben ist, noch dazu von Figuren aus völlig unterschiedlichen historischen Epochen! Im Mittelpunkt der Handlung steht die Besiedelung von Texas, dem amerikanischen Bundesstaat, in dem der Mythos vom Wilden Westen, von Cowboys, gigantischen Viehtrieben, wilden Indianern und unendlich weiten Ebenen geboren wurde.

Erzählt wird diese Besiedelung aus Sicht von drei McCollough Familienmitgliedern: Eli in den 1850-70er Jahren, Peter im Jahre 1916/17 und Jeanne Ann, der letzten McCollough, seit den 1930ern. Es geht um die ersten Siedler im weiten Niemandsland von Texas, Indianerkämpfe, den ständigen Konkurrenzkampf mit den dort siedelnden Mexikanern um Land, Rinder und Macht. Irgendwann wird in Texas Öl gefunden, und die McColloughs steigen zu einer der mächtigsten und reichsten Familien im Bundesstaat auf. Mit Jeanne Ann steht schließlich erstmals eine Frau an der Spitze des Clans und muss sich in einer Gesellschaft, die von Männern mit Geld und Arroganz beherrscht wird durchsetzen ...

Meinung:

Schon nach einem Drittel des Buches hatte ich mein erstes Urteil gefällt: brutal. Brutal bis zum Gehtnichtmehr! Und das liegt nicht einmal an detailiert blutigen Szenen, sondern vielmehr an der völligen Selbstverständlichkeit und Bereitwilligkeit der Menschen für das, was man haben will, zu töten. Die Besiedelung von Texas muss eine fuchtbar gewalttätige Angelegenheit gewesen sein: Ständig gab es Kämpfe, Überfälle von Indianern und auf Indianer, Morde aus Habgier und Verzweiflung, Kriege, Blut und Tod ... Bisweilen war ich echt erschrocken darüber zu lesen, zu was Menschen fähig sein können, und es wundert mich fast gar nicht, warum Amerika heute so ist, wie es ist! Man nahm sich einfach, was man haben wollte, und kam einem jemand in die Quere, wurde der getötet.

Ich glaube, dies ist auch ein Buch über das Menschengeschlecht im Allgemeinen. Völker kommen und gehen, das eine vernichtet das andere, und das neue wird wiederum von einem anderen beseitigt. Es ist ein Verhängnis, dem man anscheinend nicht entkommen kann.

Die Figuren sind hervorragend ausgearbeitet, und da ich das Hörbuch hatte, wurden diese auch mit unterschiedlichen Stimmen (von bekannten Schauspielern) gelesen. Dadurch entstand noch einmal ein erhöhter Grad an Individualität, zumal allesamt hervorragend intoniert wurden! Allerdings konnte ich für keinen der Charaktere wirkliche Sympathie empfinden. Eli ist ein Mann, der sich nimmt, was er will. Gut, er hat es nicht anders gelernt, er wuchs in einer brutalen Welt auf, in der schnell gestorben wurde, aber in der ein Mensch auch sehr frei sein konnte. Peter war mir igendwie noch am nächsten. Er lebte zur falschen Zeit am falschen Ort, ein Mensch, der mit dieser "Ich nehme-was-ich-will"-Mentalität keinen Frieden schließen konnte und beinahe daran zerbricht. Lediglich in ihm konnte ich so etwas wie ein Gewissen ausmachen. Die Passagen von Jeanne Ann fand ich generell etwas zu lang geraten. Ihre Gedankengänge waren mir manchmal zu wirr und sprunghaft, und auch sie empfand ich als ziemlich rücksichts- und lieblos.

Die Sprache des Romans dagegen ist sehr, sehr kaftvoll und auf den Punkt gebracht! Ich finde, hier liegt ein großartiges Stück Literatur vor uns, aber man muss auch manchmal beißen, um vorwärts zu kommen - wie es bei echter Literatur oft ist. Bisweilen hat das Buch Längen, zumal es auch keinen Höhepunkt gibt, auf den die Geschichte zuläuft. Aber dann gibt es wiederum Passagen, die so lebendig wirken, dass ich vollkommen in ihrem Bann war!

Fazit:

Ich würde sagen: Lesen! Oder besser noch: Hören (wegen der tollen Stimmen)! Man bekommt einen einzigartigen Einblick in den Mythos des Wilden Westens und kann erahnen, was so viele Menschen daran fasziniert! Allerdings ist das Buch streckenweise recht brutal und gewaltorientiet . nicht aufgrund von Voyeurismus, sondern weil diese Gewalt offenbar Alltag war. Das ist bisweilen erschreckend, aber es sagt auch viel über den Menschen aus.

4 von 5 Sternen