Rezension

Skurriles, Humorvolles und Nachdenkliches aus dem Berufsalltag eines Berliner Touristen-Guides

Where the fuck is the Führer? - Christian Seltmann

Where the fuck is the Führer?
von Christian Seltmann

Bewertet mit 5 Sternen

INHALT
Christian Seltmann ist studierter Historiker und arbeitete einige Jahre lang als Touristenfüher (sog. Touri-Guide) in Berlin. Der heutige Kinderbuchautor berichtet in "Where the fuck is the Führer?" über den spaßigen, dennoch nicht immer leichten Berufsalltag als Guide in der deutschen Hauptstadt. So unterschiedlich die Gäste, so unterschiedlich sind auch deren Interessen und Tourwünsche. Ob Junggesellinnenabschied, Gay Tour oder Schulausflug, Christian Seltmann weiß was seine "Schäfchen" wollen. Dafür schwingt er sich gern aufs Rad oder holt ein Segway hervor... 

MEINUNG
Christian Seltmann will mit seinem Kompendium aus kurzweiligen Geschichten vordergründig nur eines, nämlich unterhalten. Und das gelingt ihm sehr gut. Darüber hinaus bekommt der Leser ganz nebenbei eine heitere, z. T. aber auch nachdenklich stimmende Berliner Sozial- und Lebensstudie serviert. Neben den Sonnenseiten der Metropole, wie Friedrichstraße und Brandenburger Tor, werden auch die Schattenseiten, u .a. soziale Brennpunkte wie Bahnhof Zoo, in den Blick genommen. Letztere werden von den nationalen als auch internationalen Gästen eher schockierend oder am liebsten gar nicht wahrgenommen. 

Der Autor setzt zur Freude des Lesers auf eine ehrliche, selbstironische bis sarkastische Darstellung seiner Tätigkeit. Seine Kollegen sowie Gäste führt er liebend gern vor, indem er deren Eigenheiten gekonnt herausstreicht. Denn nicht nur jeder Touri-Guide hat irgendeinen Hau - Lachflash inklusive ;-)Zudem hat es mir gefallen, dass der Autor im Zuge seiner Schilderungen dann und wann berlinert, was dem Buch gehörig Lokalkolorit verleiht. 

Auch Seltmanns Weg zum Guide beim amerikanischen Touranbieter Colorful Bike Rides wird beleuchtet und kurz auf die Erfolgsgeschichte dieser Firma eingegangen. Der Autor hat als Fahrrad- und Segway-Guide nicht nur die bekannte "Mauer-Tour" oder die "Führer-Tour" (entlang der wenigen Spuren des Naziregimes) im Programm, sondern variiert im Einzelfall für Holländer, Amerikaner oder den deutschen Bundesbürger gern einmal. Die zwei bis vier Stunden dauernden Touren verlangen dem Guide je nach Gruppe bzw. Gästeschar einiges ab und der Verdienst ist überschaubar. Gern schalten sich Besserwisser in Outdoorbekleidung während der Fahrt durch Berlin ein oder Schüler beschweren sich über die öden Geschichtsfakten und rufen nach dem nächsten Aldi. Natürlich gibt es auch die pflegeleichten Gemüter aus der Schweiz, die um ein Trinkgeld nie verlegen sind. Neben Radtouren hat sich der Autor auch kurz in Bustouren versucht, aber das ist ein anderes Kapitel und zu viel soll ja auch nicht verraten werden... 

Darüber hinaus fand ich es klasse, dass man dem Buch trotz aller skurrilen und negativen Beispiele anmerkt, dass der Autor seine Zeit als Touristenführer genossen hat und dabei viele unterschiedliche Menschen und deren Mentalitäten kennen und schätzen gelernt hat. 
Das Cover und vor allem der ambivalente sowie provokative Buchtitel sprechen für sich. Mein Interesse war sofort geweckt.  

FAZIT
Unterhaltsamer Kurztrip in die Hauptstadt und zugleich gelungene Sozialstudie, die sich überall, ob im Urlaub oder auf der Couch, bestens genießen lässt. Ich würde sofort eine Tour mit Christian machen.