Rezension

So hoffnungslos einsam und trostlos...

Wenn Eulen schrein - Janet Frame

Wenn Eulen schrein
von Janet Frame

Bewertet mit 4 Sternen

Janet Frames erster Roman von 1957, der ihren literarischen Ruhm begründete und von den Heimsuchungen einer neuseeländischen Eisenbahnarbeiter-Familie erzählt, wird nach dem großen Erfolg ihres nachgelassenen Romans 'Dem neuen Sommer entgegen' in einer überarbeiteten Übersetzung neu vorgelegt. Die Familie des Eisenbahners Bob Withers in der Kleinstadt Waimaru wird von Unglück und Krankheit geplagt: Eine Tochter, Francie, stirbt durch einen tragischen Unfall, eine andere, Daphne, erkrankt psychisch so schwer, dass sie in eine Heilanstalt eingewiesen werden muss, ihr Bruder Toby hat epileptische Anfälle. Hinter dem Drama der Familie werden aber auch gesellschaftliche Konflikte sichtbar: Kann man im ganz anders gearteten Kosmos Neuseelands einfach die Werte und Bildungsstandards des weißen Europa vermitteln, ohne Rücksicht auf die angestammte Kultur? Vor allem die grandiose, poetische Sprache dieses Romans, seine Fähigkeit, besonders in die Gedanken- und Wahnwelt Daphnes einzudringen, seine menschliche Feinfühligkeit und erzählerische Objektivität machen ihn zu einem Meisterwerk der Literatur des 20. Jahrhunderts.

Erzählt wird die Geschichte einer armen Eisenbahnerfamilie aus Neuseeland. Bob Withers verdient als Eisenbahner gerade so viel, dass die Familie das Nötigste zum Leben hat, oft genug müssen sie im Laden anschreiben lassen, und neue Dinge sind ein nicht zu leistender Luxus. Vier Kinder leben in dem kleinen Haus in ärmlichen und dreckigen Verhältnissen, sind oft genug aufeinander angewiesen, weil sie überall sonst eher Außenseiter sind.
Hinzu kommt, dass die Familie von Unglück und Krankheit verfolgt wird. Francie, die älteste Tochter, hat mit 13 gerade die Schule verlassen und ihre erste Arbeitsstelle angetreten, als sie tödlich verunglückt. Daphne, die Zweitälteste, entwickelt eine psychische Erkrankung, die die Eltern schließlich veranlasst, ihre Tochter in eine Heilanstalt zu geben, wo sie jahrelang verbleibt. Der Sohn Toby erleidet epileptische Anfälle und bleibt in der Schule hinter seinen Altersgenossen zurück. Einzig die jüngste Tochter, Teresa, scheint ohne große Narben aufzuwachsen, heiratet dann aber früh und zieht weg aus der Kleinstadt.

In zwei Teilen wird das Buch erzählt - einmal über die Geschehnisse rund um den tödlichen Unfall von Francie, das Leben der Kinder und der Familie, die Ärmlichkeit, der Dreck, die Suche nach Schätzen auf der Müllhalde - und einmal 20 Jahre später über das Erleben einzelner Familienmitglieder, ihre Tätigkeit, ihre Ziele, ihr Denken, ihre Gefühle, ihre Pläne für die Zukunft.
Dabei ereignet sich nichts von wirklicher Bedeutung, jeder scheint gefangen in seiner Welt, tagein tagaus derselbe Ablauf, alles vorhersagbar, so wie es war von Anbeginn aller Zeiten. Vieles wird nur angedeutet, angerissen, alles verharrt stumpf in einer resignierten Verzweiflung - es wird sich doch nichts ändern. Die Bemühungen, dem Leben einen Sinn zu geben, eine andere Bahn, wirken hilflos und traurig. Geld anzuhäufen und dabei nach wie vor vom Müll zu leben versucht der eine, ein krampfhaftes Buhlen um gesellschaftliche Anerkennung die andere: "Was kann ich mehr vom Leben verlangen, als gern gesehen und beliebt zu sein." Die einzige, die die Verlogenheit und Vergeblichkeit der Bemühungen zu durchschauen scheint, ist ausgerechnet Daphne, die, sprachlos zwar und seit Jahren weggesperrt, dafür aber ungeheuer klarsichtig hinter die Dinge zu schauen vermag.

Unterstrichen wird die hoffnungslose Einsamkeit jedes einzelnen Familienmitglieds durch die besondere Sprache Janet Frames. Poetisch aber nicht lieblich, dafür voller Metaphern und meist düsterer Bildhaftigkeit. Selbst sonst oft positiv besetzte Dinge wie die Sonne oder das Meer bekommen hier eine düstere Ausstrahlung bis hin zur Bedrohlichkeit.
Manche Kapitel, meist dann wenn von Daphne die Rede war, gerieten sprachlich nahezu ins Surreale, weil die Autorin dort dem Mädchen in die psychische Erkrankung folgt. Das waren Momente äußerster Bedrückung für mich, sowohl was die angedeuteten Erlebnisse anbelangt (Elektroschocks, Isolierung) als auch die wirre und gleichzeitig real wirkende Gedankenwelt Daphnes. Aber stellenweise war der Text für mich auch einfach unverständlich, selbst nach mehrfachem Lesen der Passagen erschloss sich mir deren Sinn nicht wirklich.

Nachhaltig bedrückend wird der Text mit dem Hintergrundwissen, dass die Autorin viele autobiographische Bezüge in den Roman eingearbeitet hat. Auch Janet Frame stammte aus einer armen Eisenbahnerfamilie in Neuseeland und verbrachte viele Jahre in der Psychiatrie. Sie galt zu Unrecht als schizophren.

Insgesamt hat mich der Roman eher beeindruckt als bezaubert. Die Sprache ist beachtlich - nicht umsonst wurde Janet Frame seinerzeit auch für den Nobelpreis nominiert.
Doch diese hoffnungs- und trostlose Einsamkeit eines jeden Einzelnen will auch erst einmal ertragen werden. Mir fiel es manchesmal recht schwer...

© Parden