Rezension

So lange das Uhrwerk läuft...

Die Uhrmacher der Königin -

Die Uhrmacher der Königin
von Ralf H. Dorweiler

Bewertet mit 5 Sternen

Spannung hoch drei - vom Schwarzwald / St.Märgen nach London

Die Zeit hat keinen Anfang und kein Ende. Das Leben eines Menschen wiegt in der Ewigkeit nicht mehr als eine Nadel im Tannenwald.“

Von St. Märgen / Schwarzwald (nicht weit von Freiburg im Breisgau entfernt) nach London, zur Zeit von Königin Victoria (Anfang des 19. Jahrhunderts): Eine Bauersfamilie. Das Leben in den Schwarzwaldbergen ist entbehrungsreich. Johannes und der jüngste Bub der Familie Faller, Ernst, wachsen einigermaßen behütet heran, mit Neugierde für ihre Umgebung, mit Lernwillen, aber auch bösartigen Mitmenschen ausgesetzt. Die Männer fällen Holz im Wald mit ihren starken Schwarzwälder Pferden, in der schneereichen Zeit wird an Uhren gebastelt. Die Frauen bekommen Kinder, viele, Söhne müssen her. Einer, der den Hof weiterführt. Auf Gefühle wird keinen großen Wert gelegt. Die Unverschämten mogeln sich durch, die Gefühlvollen und irgendwie Andersartigen werden an den Rand gedrängt. Johannes ist der Kluge, versteht zu handeln, der wirtschaftlichen Durchblick besitzt und der auch weiß, wie Schaden vom Faller – Hof abzuwenden ist. Ernst ist der Sensible, der mit den Uhren lebt und ein gutes Feingefühl besitzt, neben seinem mathematischen Verständnis, und der sich zunehmend zu einem Spezialisten für Uhren entwickelt. Er ist ruhig und in sich versunken. Ein schwerer Unfall beim Holzfällen verändert das Leben der Faller – Söhne: Johannes, der den Hof erben soll, wird schwer verletzt. Der saufende Vater hat das Leben nicht mehr im Griff. Der Hof geht an den ältesten Sohn, August, der nicht das hellste Licht am Kronleuchter ist. Um familiären Dramen zu entkommen, ziehen die beiden Jüngsten in das ‚Uhrenland‘ (England), wo bereits andere Schwarzwälder Buben arbeiten. Auf dem langen Weg (per Kutsche und Schiff) nach London häufen sich angenehme und unangenehme Ereignisse. Auch in London ist das Leben nicht so, wie sich Johannes und Ernst das vorstellten. Doch die Brüder beißen sich durch...

Zeitgleich wird die Geschichte der jungen Sophia Carpenter, uneheliche Tochter eines Hausmädchens, vorgestellt. Die beiden Geschichtsstränge laufen aufeinander zu, bis die Faller Buben auf Sophia treffen. Eine gewichtige Rolle spielt eine Taschenuhr, ein Geburtstagsgeschenk für ‚Ihre Majestät die Königin‘. Die Geschichte ist wunderbar beschrieben, als wäre es tatsächlich so abgelaufen (stetig wie ein Uhrwerk), als wäre es nicht Fiktion, sondern ein geschichtliches Ereignis. Tatsächlich passierende Vorfälle und Begebenheiten sind mit real existierenden und fiktiven Charakter zu einem Roman verwoben worden, bei dem die Unterhaltungs- und Informationswerte stimmen. Dabei erfährt der lesende Mensch auch viel zum Handwerk der Uhrmacher im 19. Jahrhundert, im Schwarzwald und in London. Die einzelnen Teile der Geschichte sind mit ‚Der Aufzug, Der Antrieb, Das Gehwerk, Die Hemmung, Die Unruh, Das Zeigerwerk‘ betitelt, also alles Teile eines Uhrwerks (dazu sind auch diese Teile des Uhrwerkes genau beschrieben).

Der Autor hat sich intensiv Gedanken gemacht um einen logischen Aufbau seiner Geschichte. Umfangreiche Recherchen lassen den Roman wie eine historische Begebenheit lesen: Spannend und mit ergreifenden Charakteren. Alle Niederungen des menschlichen Lebens (Mopping, Hass, unbändige Wutanfälle, Eifersucht, Egoismus, Gefühlskälte) sind so dargestellt, dass man die handelnden Personen gerne von ihrem schrecklichen Tun zurückhalten möchte, doch gleichzeitig sich daran erinnert, dass es solche Menschen immer gab und wohl auch immer geben wird. Die Glücksmomente mehren sich jedoch zunehmend im Lauf der Geschichte. Die beiden Faller treffen auf Menschen, die ihnen wohlgesonnen sind, und sie verlieben sich...

Eine Situation bleibt besonders stark im Gedächtnis: Die beiden armen Schwarzwälder Buben müssen sich ihre Kutschfahrt durch Frankreich vom Mund absparen. Ein mitreisender Vater mit seiner Tochter, beide nicht schlank, stopfen sich dagegen endlos Nahrung in den Schlund (ohne mit den Mitreisenden zu teilen). Dagegen hing in vielen guten Stuben im Schwarzwald immer der Spruch: „Kommen Gäste, dann schütte eben noch Wasser zur Suppe“. Das Wenige wird geteilt.

Der Autor Ralf H. Dorweiler versteht es ausgezeichnet den Lesenden in den Sog seiner Geschichte zu ziehen: Wie geht es weiter, was passiert mit den Jungs, kommen sie auf einen grünen Zweig? Die Geschichte ist äußerst bildhaft beschrieben und mit bestimmt viel Recherchearbeit verbunden gewesen. Man taucht ein in das London des 19. Jahrhunderts, mit vielen Armen, viel Hektik, viel Ungerechtigkeit und mit viel Hoffnung auf ein besseres Leben, aber erlebt auch das Zusammentreffen mit Reichen, Begüterten und dem luxuriösen Leben am Hof der Königin. Das Leben im Schwarzwald dagegen im 19. Jahrhundert dagegen war karg und hart. Nicht umsonst sind viele ausgewandert, nach Amerika, nach Kanada, wo immer sich eine Möglichkeit bot zu überleben.

Wer Interesse hat an der Historie des bäuerlichen Lebens im Schwarzwald und an London im 19. Jahrhunderts ist beim Roman „Die Uhrmacher der Königin“ richtig. Gleichzeitig bietet der Roman intelligente Unterhaltung. Zudem steckt ein aufrichtiges Stück Lebensphilosophie im Buch – gib‘ niemals auf! (Als eBook gelesen)