Rezension

So schräg wie der Titel ist auch die Protagonistin...

Vilma zählt die Liebe rückwärts -

Vilma zählt die Liebe rückwärts
von Gudrun Skretting

Bewertet mit 5 Sternen

So schräg wie der Titel ist auch die Protagonistin - ein wundervoll warmherziger, berührender, amüsanter, unterhaltsamer Roman!

Vilma Veierød, 35, hat sich auf ihre eigene, um nicht zu sagen skurrile Weise im Leben eingerichtet. Sie lebt allein in einem großen Haus in Oslo, gibt Klavierstunden und bemüht sich, radioaktive Bananen und andere lebenszeitverkürzende Genüsse weiträumig zu umgehen. Eines Morgens soll sich ihr Leben grundlegend ändern. Der Pfarrer überbringt Vilma ein Bündel Briefe von ihrem verstorbenen Vater, den sie nie gekannt hat. Und während Vilma gebannt in die Vergangenheit ihrer Eltern eintaucht, nähert sie sich selbst jenem Mysterium, das sie bislang gemieden hat: der Liebe. (Klappentext)

Eine schräge Protagonistin präsentiert Gudrun Skretting hier, liebenswert aber skurril, menschenscheu aber entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. In Oslo lebt sie als Musiklehrerin und mag ihre Kolleg:innen nicht sonderlich, was wohl auf Gegenseitigkeit beruht. Small Talk liegt der spröden Vilma nicht wirklich, sie scheint aber mit ihrem Leben auch nicht unzufrieden zu sein. Immerhin unterrichtet sie einen Klavierschüler, dessen Talent sie erkennt und fördern will. Als eines Tages ein Pfarrer an ihrer Tür klingelt und ihr unter Ausdruck seines Beileids die Briefe ihres bis dato unbekannten Vaters in die Hand drückt, ist Vilma anfangs lediglich verwundert.

Dann aber beginnt sie jeden Tag einen der Briefe zu lesen und muss sich schließlich auch ihrer eigenen Vergangenheit stellen, die sie bislang zu verdrängen gesucht hat. Vilma erkennt, was ihre Eltern auseinander getrieben hat, was aber bis zum letzten Atemzug blieb: ihre Liebe. Während sie tief in die Vergangenheit eintaucht, verändert sich allmählich auch Vilma - als würde sie langsam auftauen und aus ihrer langjährigen Erstarrung erwachen. Die rationale, funktionale Person, die alles logisch durchdenkt und einordnet, macht zunehmend Platz auch für Gefühle - oder wird von diesen einfach überwältigt.

Verwirrung stiftet die Person des Pfarrers, den Vilma durchaus anziehend findet. Davon überzeugt, dass sich da etwas zwischen ihnen entwickeln kann, stürzt sie sich in so manch skurrile Szene. Gleichzeitig genießt sie die wachsende Freundschaft zum Rechtsmediziner Robert, der ihren bis dahin unbekannten Vater unter seinem Messer hatte. Dumm nur, dass Robert unter dem Tourette-Syndrom leidet und zu den unpassendsten Momenten Schimpfwörter von sich gibt ("fluchender Hobbit"). Obschon Vilma eigentlich Sozialkontakte meidet, wird ihr Leben immer turbulenter...

Einen wundervoll warmherzigen, berührenden, amüsanten und unterhaltsamen Roman habe ich da gehört, die ungekürzte Hörbuchfassung (11 Stunden und 53 Minuten) herausragend gelesen von Felicity Grist und Wolfgang Gerber (Briefe). Die Kombination der beiden Sprecher ist wirklich gelungen, und die wechselnden Perspektiven verleihen der Erzählung Tiefe. Hier wachsen einem gleich mehrere Charaktere ans Herz, kann sie aber am Ende guten Gewissens ziehen lassen. Bis dahin folgt man ihnen sehr gerne und ist gespannt auf die Entwicklung, die sich da vollzieht.

Kein billig-kitschiger Liebesroman, sondern eine wirklich schöne Geschichte...

 

© Parden