Rezension

Spannend und hochaktuell

Ein anderes Leben - Elizabeth Musser

Ein anderes Leben
von Elizabeth Musser

Bewertet mit 5 Sternen

"...Verloren und gefunden. Warten und Erneuerung. Der Stoff des Lebens wurde immer wieder aufgetrennt und neu zusammengeflickt. ... Das Gebet war der Faden, mit dem Gott Menschenleben wieder zusammennähte..."

 

Wir schreiben das Jahr 1994. In Montpellier trifft sich die Studentin Rislène heimlich mit Eric Hoffmann. Rislène ist Algerierin und vor kurzem zum Christentum konvertiert. Nazira, Rislènes jüngere Schwester, hat währenddessen unter der Matratze die Bibel gefunden und den Vater informiert.

Ceb lebt in Montpellier auf der Straße. Er ist Mitte 30 und hat eine verkrüppelte rechte Hand. Als ein Kind sich an einem Bonbon verschluckt, führt er mit der linken Hand einen Luftröhrenschnitt aus.

In Algerien nehmen Abdul und seine Frau Madira heimlich an christlichen Gottesdiensten teil. Ihr Sohn El Amid aber hat die Familie verlassen und sich den radikalen Islamisten angeschlossen.

Das Buch ist der letzte Teil einer Trilogie. Seit dem zweiten Teil sind 32 Jahre vergangen. Aus Kindern wurden Erwachsene. Eric ist der Sohn von David und Gabriella. Ophélie, Davids älteste Tochter, arbeitet als Lehrerin und schreibt Theaterstücke. Sie ist noch ledig.

Die Autorin erzählt eine berührende Geschichte, die heute so aktuell ist wie 1994. Handlungsorte sind Frankreich und Algerien.

In Frankreich bangt Eric um seine Freundin, die die Familie nach Algerien zur Großmutter begleiten musste und nicht zurückgekehrt ist. In Algerien herrscht Bürgerkrieg. Die islamische Heilsfront kämpft gegen die Regierung. Christliche Gemeinden müssen sich vor beiden Seiten in Acht nehmen. Doch auch in Frankreich gibt es Probleme. Familien, die bisher die liberale Form des Islams praktiziert haben, beginnen sich zu radikalisieren. Rislènes Familie gehört dazu. Allerdings geht der Riss mitten durch die Familien. Während Nazira ihren Vater unterstützt, beugt sich die Mutter nur unter Druck dem Wunsche des Vaters.

Wie meine einführenden Sätze schon zeigen, gibt es ein weiteres Thema, das die Geschichte durchzieht. Die Obdachlosigkeit in Montpellier nimmt zu. Die Autorin zeigt, wie unterschiedlich die Menschen mit dieser Situation umgehen. Ceb hilft den anderen. Manche haben sich aufgegeben. Die Autorin beschreibt die Obdachlosen als Menschen mit Wünschen und Sehnsüchten, die aber Hilfsangebote oft ablehnen.

Der Schriftstil des Buches lässt sich angenehm lesen. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Stille Gebete werden kursiv abgedruckt. Vor allem Ophélies Gebete sind berührend und gehen in die Tiefe. Das Zusammentreffen von Ceb und Ophélie reißt alte Wunden auf. Ihre Gespräche gehören zu den sprachliche Höhepunkten des Buches. Selbstvorwürfe und innere Verletzungen brauchen Zeit, um zu heilen. Das führt zu Spannungen. In Algerien wird insbesondere die Zerrissenheit von El Amid gut herausgearbeitet. Eigentlich möchte der junge Mann mit seiner Familie in Ruhe zusammenleben, doch die Zeitverhältnisse führen ihn in Krieg und Zerstörung. Neben vielen ruhigen Szenen sorgen insbesondere die Ereignisse in Algerien für Spannung. Wird es gelingen, eine Zwangsheirat für Rislène zu verhindern? Ab und an gibt es Rückblenden in vergangene Ereignisse, die die Gegenwart maßgeblich bestimmen. Das gilt insbesondere für das Leben von Ophèlie und Ceb.

Das Cover mit der Stadt am Berg im Licht der aufgehenden Sonne sehr schön aus.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Obiges Zitat fasst die Geschichte treffend zusammen. Es geht um die Kraft des Glaubens in schwieriger Zeit, um Neuanfang und Selbstvergebung.