Rezension

Spannend und tiefgründig

Gnadenzeit - Jürgen Mette

Gnadenzeit
von Jürgen Mette

Bewertet mit 5 Sternen

„...Sein System Kirche funktionierte seit Menschengedenken verblüffend simpel: Leben

und leben lassen, beichten und beten lassen, und dann das ganze von vorn...“

 

Alois Bachhuber ist Hauptkommissar bei der Kripo in Kempten. Nach dem Abendbrot wird er ins Oytal gerufen. Dort hat man eine tote Frau gefunden.

Der Autor hat einen spannenden Kriminalroman geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Das liegt zum einen daran, dass sie aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird, zum andern an der gekonnten Verknüpfung der Ermittlungsarbeit mit religiösen Aspekten.

Neben den Ermittlungen, die in Bayern und in der Pfalz stattfinden, kommt in wenigen Abschnitten Johannes Haupt zu Wort. Er hat den Mord beobachtet und wirft sich Versagen vor. Ein dritter Handlungsstrang blendet zurück in das Leben der Toten. Die junge Frau war in einer Endzeitsekte groß geworden und mit 18 Jahren eigene Wege gegangen.

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Alois Bachhuber ist ein typischer Bayer oder wie seine Frau oft sagt, ein gestandenes Mannsbild. Er nimmt seinen Beruf ernst und führt im Gegensatz zu vielen Kommissaren eine harmonische Ehe. Gut gefällt mir, dass er nicht unfehlbar ist, sondern auch mal etwas übersieht. Seine Einstellung zur Religion bringt das obige Zitat auf den Punkt. Toleranz gehört zu seinen positiven Eigenschaften.

Das Buch besticht durch einen abwechslungsreichen und ausgefeilten Schriftstil. Sehr gut gefallen hat mir, dass die Protagonisten häufig Dialekt sprechen durften, auch wenn ich mich beim Lesen entsprechend konzentrieren musste. Alois fällt durch seinen trockenen Humor und kurze, prägnante Aussagen auf. Ganz anders wirken die Gespräche mit den Eltern der Toten. Hier bricht sich jahrelange Unterdrückung und Missachtung Bahn. Trauer ist gepaart mit großem Schuldbewusstsein. Die Psyche der Beteiligten wird im Gespräch ausgelotet, die Erkenntnis von Schuld und Fehlverhalten wird emotional gekonnt wiedergegeben. Dementsprechend ernst wirkt der Schriftstil. Gefühlvoll und behutsam versteht es Maria Sonnlaitner, eine in religiösen Fragen bewanderte Kollegin von Alois, auf die Befragten einzugehen. Der von ihr bearbeitete und vorgetragene Psalm war Balsam für die Betroffenen und für mich eine der schönsten Stellen des Buches.

Schuld und Sühne, Gericht, Gnade und Vergebung sind Themen, die im Buch konträr dargestellt werden. Die Auflösung des Falles bringt für alle Beteiligten auch neue Einsichten in Glaubensfragen. Die Reaktionen der Protagonisten sind sehr realitätsnah. Während einige sich völlig vom Glauben abwenden, gehen andere neue Wege, Wege der Gnade und der Liebe, nicht der Angst und der Unterdrückung.

Das Gedicht am Ende hat mich nachdenklich zurückgelassen.

Das dunkel gehaltene Cover passt, denn es symbolisiert die Finsternis eines Glaubens, der nur Schuld und nicht Gnade kennt.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es thematisiert in einer fesselnden und vielschichtigen Handlung Widersprüche unserer Zeit und wirbt für Toleranz und gegenseitige Achtung.