Rezension

Spannende Biographie über das Leben als Blitzmädel im 2. Weltkrieg

Ich war ein Blitzmädel - Hilde Kerer

Ich war ein Blitzmädel
von Hilde Kerer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Zum Inhalt

Hilde Kerer wird 1919 als Tochter deutschsprachiger Gastwirte in Brixen/Südtirol geboren. Schon in ihrer frühen Kindheit bekommt sie die Repressionen durch die italienischen Faschisten zu spüren. Doch die deutschstämmige Bevölkerung lässt sich nicht unterkriegen, und so entstehen Geheimschulen, in denen die Kinder auch weiterhin das deutsche Sprach- und Kulturgut vermittelt bekommen.

Hilde Kerer wächst zu einer selbstbewussten Frau heran, die – wie die meisten ihrer Altersgenossen – dem Nationalsozialismus sehr zugetan ist, besteht doch die Hoffnung, dass Hitler das faschistische Südtirol wieder Deutschland zuführen wird. Auf der Suche nach Abenteuern, meldet sich Hilde mit Begeisterung für die Ausbildung zur Wehrmachtshelferin in Deutschland. Als so genanntes Blitzmädel erlebt sie Einsätze im russischen Minsk und im französischen Poitiers, wo sie nur knapp einen Bombenangriff überlebt und schließlich Hals über Kopf mit ihren Kameradinnen vor den Alliierten fliehen muss.

In Erzählungen und Tagebucheinträgen folgt der Leser Hilde Kerer auf ihren Wegen als Blitzmädel von 1942-1944.
 

Meine Meinung

Die Biographie aus der Reihe „Memoria – Erinnerungen an das 20. Jahrhundert“ des Raetia-Verlages setzt sich zusammen aus Erzählungen der heute 95jährigen Hilde Kerer sowie aus Einträgen, die sie zwischen dem 28.10.1942 (Aufbruch zur Ausbildung) und dem 8.8.1944 (Flucht aus Frankreich) in ihr Tagebuch niedergeschrieben hat. Nach einem kurzen Vorwort von Thomas Hanifle gilt der Hauptteil ganz allein Hilde Kerer, die hier ohne Unterbrechungen oder Erläuterungen zu Wort kommt. Dies ist generell sehr angenehm, da die Geschichte so nicht zerrissen wird.

Andererseits hätte ich mir bei manchen Begriffen oder erwähnten Ereignissen eine Erläuterung gewünscht, z. B. in Fußnoten. Auch werden öfter Personen erwähnt, die einfach so auftauchen und wieder verschwinden, ohne dass ich wusste, wer das jetzt eigentlich ist. Allerdings wird hier fairerweise im Vorwort bereits darauf hingewiesen, dass Hilde Kerers Erinnerungen lückenhaft sind und sie manche Personen nicht mehr richtig einordnen kann.

Der Leser lernt hier einiges über den italienischen Faschismus in Südtirol, worüber ich persönlich bislang nichts gewusst hatte. Die deutschsprachige Bevölkerung wird dazu genötigt, nur noch Italienisch zu sprechen und sich den faschistischen Lehren zu unterwerfen. Doch es spinnt sich ein feines Netzwerk, das Widerstand gegen die Faschisten leistet und das deutsche Sprach- und Kulturgut weiterleben lässt. In Geheimschulen werden Kinder wie Hilde von so genannten Katakombenlehrerinnen in deutscher Sprache unterrichtet.

Eine von Hildes Lehrerinnen ist Midl Kofler, die als Strafe für ihre verbotene Tätigkeit für zwei Jahre ins Exil nach Lauria geschickt wird und in Brixen als Heldin gilt. Trotz ihrer Liebe zur deutschen Kultur entscheiden sich Midl und ihre Familie jedoch später für die Option Italien, und Midl wird plötzlich zur persona non grata. Einzig Hilde hält Midl weiterhin die Treue und wird hierfür ebenfalls angefeindet. Doch das selbstbewusste Mädchen hat seinen eigenen Kopf und eckte schon immer an, erst bei den Faschisten, dann später bei den Nazis. Wie sie selbst erzählt, geriet sie jedoch nie an extreme Menschen, sonst hätte sie vermutlich schon früh unter Bestrafung in jeglicher Form leiden müssen.

Hilde Kerer hegt große Sympathien für Hitler und den Nationalsozialsmus. Sie betont, dass viele Menschen damals so dachten wie sie, und hierbei keineswegs einen schlechten Charakter aufgewiesen oder gar die Gräueltaten der Nazis gutgeheißen hätten. Für die Südtiroler war Hitler eine Verheißung dafür, dass ihre Heimat bald wieder deutsch sein könnte. Wie so viele andere, die blind dem Nationalsozialismus zugetan waren, hatten auch diese Menschen keine Ahnung von den Gräueltaten der Nazis oder wollten sie nicht wahrhaben.

Erst nach und nach bei ihren Einsätzen lernt Hilde Kerer die schlimmen Seiten des Krieges kennen, auch wenn sie lange Zeit versucht, davor die Augen zu verschließen. Aber meist will sie auch hier nichts davon wissen, blockt Erzählungen von Soldaten über die Front ab und behauptet auch später noch, nichts von den Taten der SS mitbekommen zu haben, obwohl sie z. B. in Minsk stationiert war, als dort Partisanen und im jüdischen Ghetto Tausende von Juden exekutiert wurden.

Hilde Kerer erzählt nicht vorrangig von ihrer Arbeit als Blitzmädel und dem Krieg, sondern von ihren Freizeitaktivitäten und den Liebes- und Freundschaftsbeziehungen zu Soldaten und Kameradinnen. Dabei blieb sie mir leider immer ein bisschen fremd, richtige Sympathien kamen bei mir nicht auf. Aber das ist ja auch keine notwendige Voraussetzung, ich habe das Buch dennoch in einem Rutsch gelesen.

Interessant ist es, dass hier eine Frau zu Wort kommt, die für die Nationalsozialisten gedient hat. Bei Einsatzkräften der Wehrmacht denkt man doch zwangsläufig nur an Männer, obgleich mehrere Millionen deutscher Frauen damals freiwillig für die Nationalsozialisten tätig waren, wenn auch nicht unbedingt an der Front.

Wenngleich Kerer damals in Brixen politisch sehr engagiert war, bezeichnet sie sich gerade in ihrer Tätigkeit als Blitzmädel als politisch uninteressiert, apolitisch. Sie sagt über ihre Zeit als Blitzmädel vor dem Bombenangriff in Poitiers, bei dem sie zwei Freundinnen verliert: „Wäre nicht der Krieg gewesen, dann wäre es eine schöne Zeit gewesen.“ Und man hat auch beim Lesen das Gefühl, dass die Tätigkeit als Blitzmädel für Hilde Kerer kein politisches Statement, sondern lediglich ein Abenteuer und eine Flucht aus dem tristen Alltag als Schneiderin war.

Dem Hauptteil folgt noch ein 20seitiger Aufsatz der Historikerin Siglinde Clementi mit dem Titel „Sich wehren und hartnäckig sein. Zum autobiografischen Gedächtnis und Selbstbild von Hilde Kerer“. Hier folgten einige Erläuterungen, die ich zuvor im Hauptteil vermisst hatte, und ein paar Punkte waren sicherlich auch interessant. Aber alles in Allem empfand ich den Artikel als Stilbruch zu Hildes Erzählungen, zu langatmig und zu wissenschaftlich. Ein kürzeres Nachwort hätte es meiner Meinung nach auch getan.

Positiv hervorheben möchte ich noch die zahlreichen Schwarzweiß-Fotos. Außerdem findet man in den Fußnoten des Aufsatzes am Ende des Buches noch viele Literaturverweise, die bei Interesse eine gute Grundlage für weitere Eigenrecherchen bieten.

„Ich war ein Blitzmädel. Frauenkameradschaft in der Wehrmacht“ ist eine sehr interessante Biographie aus dem zweiten Weltkrieg, die ich nicht nur geschichtsinteressierten Lesern ans Herz legen möchte.