Rezension

Spannende Fortsetzung

Am Wendepunkt - Elizabeth Jane Howard

Am Wendepunkt
von Elizabeth Jane Howard

Bewertet mit 4 Sternen

Im vierten Teil der Cazalet-Reihe folgen wir der Familie und ihren Angehörigen durch die Jahre 1945 bis 1947. Der Krieg ist vorbei und hat seine Spuren hinterlassen: nach den anstrengenden, turbulenten vergangenen Jahren soll nun wieder in die Normalität zurückgekehrt werden, was für einige schwieriger ist als für andere: während Clary und Polly in London langsam Fuß fassen und ihre Unabhängigkeit ausbauen, stehen andere zwischen den Stühlen: sowohl der als vermisst gemeldete, längst tot geglaubte und nun überraschend zurückgekehrte Rupert als auch seine Frau Zoe haben Geheimnisse voreinander, die eine wirkliche Wiedersehensfreude nicht möglich machen. Hugh scheint weiterhin gefangen in seiner Trauer um Sybil. Der liebe Archie scheint nur das Leben anderer zu leben; die stetigen Hilfegesuche der Cazalets beglücken und bedrängen ihn gleichermaßen. Louise ist gefangen in ihrer unglücklichen Ehe, und Edward steht immer noch zwischen seiner Frau Villy und seiner Affäre Diana und muss sich entscheiden. 

Was mir bei der Neuübersetzung der Reihe mit jedem Band positiv auffällt, ist, wie viel passender die "neuen" deutschen Titel sind. Die ersten Übersetzungen hatten so vollmundige Titel wie "Seelenstürme" oder "Septemberhimmel", jetzt wurde sich aber mehr an den originalen, englischen Titeln orientiert. Jeder der bisher vier Bände hat einen ganz eigenen Grundtonus, auf den durch die Titel perfekt vorbereitet wird: "Die Jahre der Leichtigkeit" beschreibt einfach nur die letzten, angenehm ruhigen Jahre vor dem Krieg; in "Die Zeit des Wartens" wird man wirklich mit einer Menge tatenlosen Wartens konfrontiert; "Die stürmischen Jahre" ist hingegen eine Abfolge mehr oder minder (aber meistens mehr) dramatischer Ereignisse. Und in "Am Wendepunkt" geht es eben wieder genau darum: alle Personen befinden sich zu Beginn irgendwie zwischen zwei Fronten: zwischen zwei Frauen, zwischen zwei Lebensentwürfen, zwischen zwei Lieben... 

Wie auch alle anderen Bände habe ich diesen gespannt erwartet und wurde wieder nicht enttäuscht. Eine auf dem Buchrücken abgedruckte Kritik der SZ sagt: "Howard fasst kleine und große Dramen in hochelegante Sätze, ohne ein Leid über das andere zu stellen." Und ich glaube, das ist einer der Aspekte, der diese Bücher so genial macht: dass die Sichtweisen der gerade erzählenden Personen nie, nicht einmal unterschwellig, bewertet werden. Es ist egal, ob ein Erwachsener sich mit der Schuld des Ehebruchs plagt, oder ein Kind über die Ungerechtigkeit des frühen Zubettgehens sinniert: beide Probleme werden so ernsthaft und realistisch dargestellt, dass ich es als Leser einfach hinnehmen kann. Es ist eben, wie es wirklich ist: aktuelle Probleme kommen einem oft unüberwindlich und unvergleichlich vor, und schon ein Jahr später kann man rückblickend nur darüber den Kopf schütteln. 

Der zweite Aspekt, der diese Reihe, wie ich finde, so einzigartig macht, ist die psychologische Figurengestaltung und -entwicklung. Howards Personen sind nicht ein- oder zweidimensional, sie sind real: es gibt keinen einzigen Charakter, von dem ich sagen würde: "Tolle Person, aber im echten Leben würde so etwas nie passieren." Die besten Beispiele dafür sind vielleicht Zoe und Edward, die sich in ständigem Wandel befinden - gerade wenn man glaubt, ein Urteil fällen zu können, geschieht etwas zwar Unerwartetes, aber nicht Unwahrscheinliches. Alle Entwicklungen sind sehr überzeugend. 

Dieser vierte Teil hat wieder einiges zum Nachdenken und Mitfiebern geboten. Der Fokus, der in den letzten beiden Bänden auf den drei Cousinen lag, dehnt sich nun wieder etwas aus und bezieht die ganze Familie mit ein. Besonders gefreut hat mich der große Umfang, der Archie gewidmet wurde, den ich wie die Cazalets wirklich sehr ins Herz geschlossen habe. Und auch die weitere Entwicklung von Louise, deren bisheriges junges Leben ja schon von allerlei Dramen geprägt ist, ist weiterhin wechselhaft. Louise ist einfach ein unverbesserlicher Charakter, der anscheinend verstörende Erfahrungen magisch anzieht. Besonders hervorheben will ich auch noch einmal, ohne zu viel zu verraten, wie Rupert und Zoe ihren Problemen letztendlich begegnet sind: dass sich ihre Beziehungsfrage so löst, wie sie es hier tut, hätte ich beiden zwei Bände zuvor niemals zugetraut. Eine höchst überraschende, aber wiederrum reale Wendung.

Zwei Dinge haben mir an diesem Band nicht so gut gefallen. Einmal bin ich mir sehr uneins, wie ich über das Ende denken soll; einerseits ist es sehr schön, andererseits erscheint es mir etwas zu "glatt" für den bisherigen Verlauf. Andererseits kam es nicht unerwartet: dass die beiden Personen, die da zusammenfinden, sich einander irgendwie annähern würden, hatte sich schon im letzten Teil abgezeichnet, und eigentlich gönne ich es ihnen von Herzen. Das zweite ist eine Kritik am Schreibstil: die Geschichten, egal aus welcher Perspektive, sind beinahe ausnahmslos in Rückblenden erzählt. Meistens befindet sich eine Person in der jeweiligen Gegenwart auf dem Weg irgendwo hin, währenddessen sie den Leser alles wissen lässt, was in den letzten Wochen/ Monaten so passiert ist; manchmal kehrt man dann in die Gegenwart zurück, und das Geschehen setzt sich fort, manchmal nicht. In den letzten Bänden war das nicht so stark ausgeprägt, ich empfand es irgendwann als etwas störend. 

Alles in allem aber wieder ein toller Teil, in dem die meisten offenen Fragen beantwortet und Entscheidungen getroffen wurden. Ich freue mich jetzt auf den letzten Teil, der nach einem Zeitsprung von etwa zehn Jahren erzählt werden und hoffentlich auch noch die letzten Probleme lösen wird.