Rezension

Spannende Geschichte um Mord und Moral

The Son - Jo Nesbø

The Son
von Jo Nesbø

Bewertet mit 4 Sternen

Alles, wofür Sonny noch zu Leben scheint, ist die Droge. Er ist heroinabhängig und sitzt bereits seit zehn Jahren wegen Mord seine Zeit in einem Osloer Gefängnis ab. Während eines Freigangs soll er nun erneut gemordet haben. Ganz im Gegensatz zu diesen schwerwiegenden Vorwürfen steht jedoch Sonnys Erscheinungsbild. Von den Häftlingen wird er als friedlich und sanftmütig wahrgenommen. Sie schätzen ihn überaus, denn es heißt, er habe heilende Hände und erteile denjenigen, die ihm ihre Sünden anvertrauen, die Absolution. Doch das Geständnis eines Mithäftlings offenbart Sonny eine Wahrheit über den Tod seines Vaters, die ihn aus seiner Apathie reißt und dazu veranlasst, einen gewagten Fluchtversuch aus dem Gefängnis zu unternehmen. Sonny macht sich auf den Weg, die wahren Begebenheiten selbst aufzudecken und alle Beteiligten für ihre Taten zu bestrafen.

„The Son“ ist der neue Krimi von Nesbo, der den Leser in das Drogenmilieu entführt und auf einen spannenden Rachefeldzug mitnimmt. Als besonders faszinierend habe ich die Gegensätzlichkeit, die sich in der Figur Sonny vereinen, empfunden. Auf der einen Seite wird Sonny als ein sanfter, fast kindlicher Junge beschrieben. Er scheint sich gut in andere Menschen hineinversetzen zu können und zeigt Mitgefühl und Schmerz. Im krassen Widerspruch hierzu steht jedoch sein Rachefeldzug. Sonny verübt Selbstjustiz und bestraft all diejenigen, die bisher trotz ihrer grausamen Straftaten davon gekommen sind. Da er die Polizei als korrupt empfindet, ist er der Einzige, der den Opfern (und somit auch sich selbst) eine Form von Gerechtigkeit bringen kann. Die große moralische Frage, ob man Morde mit weiteren Morden begleichen darf, wird hier aufgegriffen. Dabei ist es für mich ungewöhnlich, mit dem Mörder zu sympathisieren, was Gewissenskonflikte aufruft und zum Nachdenken anregt. Die Ebenen von Gut und Böse, Opfer und Täter werden im Laufe der Geschichte immer mehr verwischt. Ist ein Mörder zwangsläufig ein schlechter Mensch? Kann eine Gerechtigkeit, die über jeglichen Gesetzen steht, gerecht sein?

Neben Sonny hat mir aber auch das Ermittlerduo Simon Kefas und Kari Adel, das Sonny auf der Spur ist, gut gefallen. Beide Figuren sind trotz ihrer persönlichen Fehler sympathisch und machen ein sehr widersprüchliches Team aus. Simon als alteingesessener Polizist kurz vor dem Ruhestand, der schon so einiges durchgemacht hat – und Kari, frisch von der Schulbank und voller Idealismus. Beide Figuren machen einen Wandel durch, der interessant anzuschauen ist.

"The Son" ist ein spannender Krimi, der viele moralische Fragen aufwirft, die nicht so einfach zu beantworten sind. Da es ein paar Längen gab, ziehe ich einen Stern ab. Insgesamt aber sehr empfehlenswert, nicht nur für Krimifans!