Spannende Zeitreise ins "Land der unbegrenzeten Möglichkeiten"
Bewertet mit 4 Sternen
"Die Tochter der Nachtigall" war mein erstes Buch über die Lage der Einwanderer in Amerika Anfang des 20.Jahrhunderts. Anhand von Lucias und Teresas Schicksal zeigt die Autorin die erschreckenden Lebens- und Arbeitsbedingungen im "Land der Unbegrenzten Möglichkeiten" auf: Wer alleinstehend und mittellos ist, ist den Schikanen der Fabrikbesitzer hilflos ausgeliefert und hat oft keine andere Wahl, als die Ausbeuterlöhne und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, um seine Familie über Wasser zu halten. Lucia hat erkannt, dass der einzige nachhaltige Ausweg aus der Abhängigkeit in Bildung und Aufklärung besteht, doch trotz ihrer Intelligenz werden ihr als mittelloser italienischer Einwanderin Steine in den Weg gelegt.
Lucia ist mir schnell ans Herz gewachsen; sie ist intelligent, mitfühlend, engagiert und kreist trotz ihrer schwierigen Lage nicht ständig mit den Gedanken um sich selbst (wie ihre Mutter, deren Verhalten mich oft wütend gemacht hat). Immer wieder scheint es, als würde Lucia alles verwehrt bleiben, was sie sich vom Leben erhofft: Eine gute Schulbildung, bessere Möglichkeiten für die Menschen in ihrem Umfeld und die Zuneigung des jüdischen Jungen Henryk, dessen Eltern eine andere Verbindung für ihn ins Auge gefasst haben...
Dabei will Lucia gar nicht zu viel vom Leben - wie eine Freundin zu bedenken gibt - ; sie will nur nicht den Weg der anderen Einwanderer in Abhängigkeit und Fremdbestimmung gehen!
Überzeugend geschildert fand ich auch den teil der Geschichte, der sich mit Teresas labiler psychischer Verfassung beschäftigt. Während es für die oberen Schichten Sanatorien und private Kliniken gab, in denen ihre psychisch kranken Angehörigen zwar nicht geheilt, aber wenigstens mit allem erdenklichen Komfort untergebracht werden konnten, glichen die öffentlichen "Nervenheilanstalten" der Hölle auf Erden. Die Insassen waren dem Sadismus, den Gewalttaten und der Willkür der Mitarbeiter hilflos ausgeliefert. Kein Wunder, dass Lucia alles versucht, um ihre Mutter trotz aller Schwierigkeiten möglichst außerhalb dieser Anstalten zu behalten.
Ich habe stark mit Lucia und ihren Freunden mitgefiebert und war entsetzt über die hilflose Lage gerade der mittellosen Frauen und Kinder. Systematisch hetzen die Fabrikbesitzer die unterschiedlichen Nationalitäten gegeneinander auf, damit die Arbeiter bloß nicht auf die Idee kommen, sich zu solidarisieren und gegen die Fabrikbesitzer zu verbünden. Die enttäuschten Hoffnungen und gescheiterten Träume der Einwanderer haben mich sehr betroffen gestimmt. Inmitten von Ungerechtigkeit und Rückschlägen bildet Lucia eine Lichtfigur für die Menschen in ihrem Umfeld und auch den Leser; sie macht Mut, dass es sich es sich trotz aller Schwierigkeiten lohnt, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen, für das Wohl seiner Mitmenschen und auch für die eigenen Träume.
Trotz der ernsten und traurigen Themen ein Buch, das Hoffnung gibt und aufmuntert, ohne je kitschig oder unrealistisch zu werden.
Kommentare
Arietta kommentierte am 08. Februar 2016 um 12:49
Du hast eine sehr schöne un Informative Rezi geschrieben. Das Buch und der Inhalt entspricht genau meinem Genre. Ich werde es auf meinen Wunschzettel setzen.